Zu Mozarts 200. Geburtstag wurde 1956 in Salzburg die Mozart-Woche erfunden. Seither locken um den Geburtstag des Meisters herum (27. Jänner) seine Werke die Musikfreunde an die Salzach. Nach zweijähriger Pandemie-Unterbrechung kann man in diesem Jahr wieder an elf Tagen den Facettenreichtum und die Schönheit seines gigantischen Werkes erkunden, manchmal buchstäblich von morgens bis abends, so dass zwischen Konzert und Konzert gerade noch Zeit bleibt für einen Besuch im Café Bazar oder Tomaselli, wo dicht gedrängt die Mozart-Freunde sitzen und sich bei Apfelstrudel und Melange, Würstl und Kren fürs nächste Kunst-Fest stärken.
Rolando Villazón, der das Festival seit einigen Jahren leitet, verzichtet auf eine strenge Dramaturgie. So mischen sich Früh- und Spätwerke, Gattungen und Interpretations-Ansätze. Glücklich ist auch seine Entscheidung, nur Mozart zu spielen (in früheren Jahren wurden seine Werke immer wieder mit moderner oder auch mit Musik aus Mozarts Zeit kontrastiert). Eine Säule dieser längst aus dem Musikleben nicht wegzudenkender Institution bilden von Anfang an die Wiener Philharmoniker, die jährlich mit zwei oder auch drei Konzerten zu Gast sind. Den Auftakt der diesjährigen Reihe bildete ein Konzert mit Robin Ticciati, der für den erkrankten Daniel Barenboim eingesprungen war. Leider blieb es nicht bei dieser Umbesetzung: Auch Maria João Pires fiel aus, und so wurde nichts aus dem geplanten Doppelkonzert zusammen mit Mitsuko Uchida. Der Ersatz freilich war prominent genug – wenn auch nicht unbedingt berühmt für seine Mozart-Interpretationen. Igor Levit spielte das filigrane Konzert in A-Dur, KV 414. Nach einer verhalten zarten Einleitung glückte ihm ein schöner Dialog mit den Philharmonikern, wobei das Allegro des Kopfsatzes vielleicht etwas spannungsreicher hätte gestaltet werden können. Warm und atmend geriet das Andante, das bei Levit ganz wie Beethoven klang. Etwas geschmäcklerisch mutete schließlich das Rondeau an, wobei feine Akzente immer wieder aufhorchen ließen. Weil Levit intensiv mit dem Orchester interagierte, war beim Klavierkonzert leichter verschmerzbar als bei der folgenden Linzer Symphonie (KV 425), dass Robin Ticciati wohl nicht unbedingt der Lieblingsdirigent der Wiener Philharmoniker ist. Er leitete sie mit übergroßen Gesten und gab Einsätze mit einer Deutlichkeit, die ihm vielleicht ein Schulorchester, nicht aber diese Spitzenmusiker zu danken wussten. Vor allem vermisste man bei Ticciati die Arbeit am sprechenden Detail und am spannungsreichen Übergang. So fehlte dem Kopfsatz dieser doch vor Energie und Einfallsreichtum berstenden C-Dur-Symphonie ein wenig die dramatische Spannung, dem Andante das Zärtliche und dem abschließenden Presto die überschießende Energie.
Wie anders klangen da am Tag danach im kleinen, intimen Mozarteum unter der Leitung von Mitsuko Uchida die beiden Konzerte für Klavier und Orchester! Freilich, das Mahler Chamber Orchestra ist nicht so edel kultiviert wie die noblen Wiener Philharmoniker. Aber die Musiker ließen sich von Uchida mitreißen und boten mit sicht- und hörbarer Lust am Spiel eine hinreißende, sozusagen ganz aus dem Geist des Sturm und Drang geborene Interpretation des frühen Meisterwerkes KV 175 aus dem Jahr 1773. Energiegeladen das Allegro, sinnig durchpulst das Andante, tänzerisch das Finale, und Uchida beglückte nicht nur mit Farbenreichtum und klanglicher Finesse, sondern auch mit einem natürlich fließenden Spiel. Kraftvolle Akzente setzte sie auch beim letzten Klavierkonzert Mozarts, KV 595, das technisch nicht ganz makellos gelang, aber dennoch überzeugte, weil die große Pianistin die Neigung zum Grüblerischen und melancholisch Verschatteten, die dieser ganz zurückgenommenen Musik eigen ist, immer wieder anklingen ließ. Mit konzentrierter Innigkeit spielte Uchida das Larghetto, ohne jede gewollte Inständigkeit. Ein großer Eindruck.
Opern werden bei der Mozart-Woche nicht in jedem Jahr, aber doch immer einmal wieder aufgeführt, manchmal konzertant, manchmal in echten Inszenierungen. Dass András Schiff kein Freund des Regietheaters ist, wusste man spätestens seit seinem berühmt gewordenen Artikel „Was zum Teufel ist mit dem deutschen Theater los“ in der Neuen Zürcher Zeitung 2014 (ja, es gab – heute kaum mehr vorstellbar – tatsächlich einmal Zeiten, in denen im Feuilleton dieses ehrwürdigen Blattes auch von solchen Dingen die Rede war). Darin rechnete Schiff gnadenlos ab mit dem, was man „Eurotrash“ nennt. Es ist also stimmig, wenn er jetzt in der beinahe ausverkauften Felsenreitschule Mozarts „Don Giovanni“ nicht in einer Neudeutung leitet, sondern in einer von Rolando Villazón arrangierten halb-szenischen Einrichtung. Zwei angedeutete Häuserfassaden begrenzen die riesige Spielfläche der Bühne, auf der Schiffs eigenes Orchester, die Cappella Andrea Barca, ein so feinsinniges wie dramatisches Spiel entfaltet. Schiff dirigiert ohne Taktstock mit großer Hingabe. Den Musikern gelingt so eine schlanke, durchhörbare, immer wieder von sprechenden Details bereicherte, dramatisch beredte Interpretation. Und weil es keinen Regisseur gibt, der partout eine Neudeutung erzwingen möchte, hat man als Zuschauer das Gefühl, dem Stück in dieser Aufführung so nahe zu kommen wie schon lange bei keiner Operninszenierung mehr. Denn die Sänger stehen in dieser sorgfältig geprobten Einstudierung keineswegs starr an der Rampe; sie spielen tatsächlich ihre Rolle, so dass eine Inszenierung in keinem Moment dieses kurzweiligen Abends vermisst wird. Johannes Kammler gibt einen warm timbrierten Verführer mit geschmeidigem Bariton. Nur im Austausch mit dem von Robert Holl nicht durchdringend kraftvoll genug gesungenen Komtur blieb er ein wenig den aufbegehrenden Trotz schuldig, der ja auch zu seinem Charakter gehört. Dafür glückte mit Schmelz in der Stimme die Verführung Zerlinas umso beeindruckender, auch dank des dunkel lodernden Soprans von Julia Lezhneva, die damit nicht nur ihren Masetto (Julien von Mellaerts), sondern auch das Publikum zu bezirzen wusste. Magdalena Kožená gab stimmlich wie darstellerisch eine hoch dramatische Elvira, deren seelische Zerrissenheit dank der Gestaltungskunst der Sängerin hörbar wurde. Nicht ganz auf diesem Niveau sang Sylvia Schwartz mit zu kleiner, in den Höhen etwas flackernder Sopranstimme. Ihrer Anna fehlte es an Farbenreichtum und dramatischer Wucht, wohingegen Julien Prégardien als Ottavio mit vornehm geführtem, sicherem, warm strahlenden Tenor vor allem in „dalla sua pace“ glänzte. Ob bei Wiederholungen so viele Fiorituren und Varianten angebracht sind, wird dabei Geschmackssache bleiben.
Noch bis zum 5. Februar dauert das Mozart-Fest in Salzburg. Wer noch nicht dort war, sollte hinfahren. Schleunigst!