Neumeiers „Sommernachtstraum“, 1977 in Hamburg uraufgeführt, zieht immer aufs Neue in seinen Bann. So wurde auch die 105. Vorstellung im ausverkauften Münchner Nationaltheater von einem dankbaren Publikum mit kräftigem Applaus gefeiert. Dass dieser Abend zu einem beglückenden Erlebnis wurde, ist nicht zuletzt Michael Schmidtsdorff und dem Bayerischen Staatsorchester zu danken, das kurz nach seinem 500. Geburtstag frisch und geschmeidig klingt, die Lyrik der „Sommernachtstraum“-Musik schwelgerisch zum Leuchten bringt, aber auch rhythmische Pointierung nicht vermissen lässt.
Wie John Neumeier zusammen mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Jürgen Rose die drei Handlungsstränge in Shakespeares Komödie einerseits klar voneinander abzugrenzen versteht, sie aber andererseits immer wieder kunstvoll miteinander verflicht, verdient höchste Bewunderung. Da ist zunächst die höfische Sphäre. In biedermeierlich anmutenden, farblich fein aufeinander abgestimmten Kostümen wird die Handlung zwischen Theseus und Hippolyta, Helena und Demetrius, Lysander und Hermia mit einem Bewegungsvokabular erzählt, das sich noch am ehesten an den Konventionen des klassischen Balletts orientiert, von Neumeier aber immer wieder expressiv aufgebrochen wird. So schafft er es, die drei Paare je ganz eigen zu charakterisieren. Maria Baranova ist dabei eine Hippolyta von zarter Eleganz und anmutiger Schönheit. Aber auch ihre Darstellung Titanias im Reich der Elfen überzeugt durch eher harte und aggressive Gesten in der Auseinandersetzung mit dem Gemahl Oberon. Edvin Revazov, Erster Solist in Hamburg und für diesen Abend zu Gast in München, verleiht seiner Doppelrolle schon durch seine imposante Erscheinung einen herrschaftlichen Ausdruck, zumal ihm all die anspruchsvollen Hebefiguren mühelos gelingen.
Überzeugend besetzt waren auch die beiden Liebespaare: Ariel Merkuri tanzte einen schneidigen Demetrius, ohne die zackigen Militär-Gesten zu überzeichnen, und Elvina Ibraimova umschwärmte ihn als rührend unbeholfene Helena mit Witz und klettenhafter Anhänglichkeit. Herausragend war Shale Wagman als Lysander. Technisch brillant, mit makelloser Eleganz und Leichtigkeit und dazu schauspielerisch glaubhaft: jede Geste sinnerfüllt und verständlich. Wagmans Lysander ist ein schwelgerisch Liebender mit der präzisen, technisch wie darstellerisch sicheren Carollina Bastos als Hermina an seiner Seite. In lyrisch weitgeschwungenen Bögen bringen sie im nächtlichen Wald von Athen zartes Liebesglück zum Ausdruck, ehe der fatale Zaubersaft aus dem netten Gärtnerburschen einen Rasenden macht, der in seiner Liebestollheit jede Grenze überschreitet.
Schroff steht dieser mal lyrischen, mal biederen Welt die derbe Komik der Handwerker-Szenen gegenüber. Drehorgelmusik begleitet ihre Aufführung von „Pyramus und Thisbe“, die anlässlich der Dreifachhochzeit dargeboten wird, womit das Stück nach Art einer Komödie festlich ausklingt. Hier glänzen mit lustvoller Darstellung vor allem Alexey Dobikov als Zettel/Pyramus und Konstantin Ivkin als Thisbe. Zuvor allerdings gerät die Welt aus den Fugen. Dafür ist Puck verantwortlich, der Diener Oberons. György Ligetis Musik untermalt diese elfische Sphäre, die von Wesen erfüllt ist, deren Bewegungen mehr an wabernde Pflanzen oder staksende Tiere als an Menschen erinnern. António Casalinho agiert darin als überdreht lausbubenhafter Puck mit wieselflinker Geschmeidigkeit. Schon durch seine zierliche, fast knabenhafte Gestalt und die damit einhergehende Wendigkeit passt er bestens zu dieser schalkhaften Partie. Eine wahrhaft luxuriöse Besetzung. Ein schöner, ein großer Ballett-Abend!