Dreizehn Jahre lang, von 2008 bis zum Ende dieser Saison, hat Nikolaus Bachler als Intendant die Bayerische Staatsoper geleitet. Jetzt hat er sich mit einem Abend unter dem etwas sperrigen Titel „Der wendende Punkt“ aus München verabschiedet, um künftig die Osterfestspiele in Salzburg zu verantworten.
Vierundachtzig Opern wurden während seiner Intendanz neu inszeniert, darunter Kernstücke des Repertoires wie „Don Giovanni“ und „Tristan“, aber auch selten gespielte Werke wie Poulencs „Dialogues des Carmélites“ oder Mayrs „Medea in Corinto“. Uraufführungen gab es ebenfalls, Peter Eötvös „Die Tragödie des Teufels“ zum Beispiel oder Hans Abrahamsens „The snow queen“. Der Spielplan war bunt unter Bachlers Leitung; auf Klassiker und Raritäten durfte man sich in jeder Saison freuen.
Weniger groß war bei vielen Zuschauern die Freude über die Auswahl der Regisseure, die der Intendant verantwortete. Den prominenteren unter ihnen ist zum Abschied ein eigenes, schön gestaltetes Buch gewidmet, das unter dem Titel „Sprachen des Musiktheaters. Dialoge mit fünfzehn zeitgenössischen Regisseuren“ im Verlag SchirmerMosel erschienen ist. Hans Neuenfels, Romeo Castellucci, Frank Castorf, David Bösch oder Amélie Niermeyer äußern sich im Gespräch mit Herrn Bachler zu ästhetischen, aber auch zu persönlichen Fragen. Es ist vielleicht kein Zufall, dass der Dialog mit Dmitri Tcherniakov (er hat in dieser Saison den „Freischütz“ neu inszeniert) den Band beschließt. Diesem Gespräch ist nicht nur zu entnehmen, dass der Regisseur die ihm anvertraute Oper „im Vorfeld gehasst“ hat, sondern auch, was Bachlers Vision von der Zukunft der Musiktheater-Regie ist: „Ich würde so gerne noch eine Zeit erleben, in der wir in die Oper wirklich eingreifen.“ Warum? Weil die „Reaktionen“ des Publikums so „unglaublich“ wären, „wenn Don Carlos gespielt und etwas anderes hineingesetzt wird“. Vielsagend: Nicht um die Sache selbst geht es dabei, sondern um die Reaktion des Publikums. Effekthascherei im Gewand der Avantgarde. Gegen „Kritiker, gegen das Publikum, gegen Dirigenten, gegen Regisseure“, die „das Werk schützen wollen“, habe er, Bachler, ein Leben lang angekämpft. Diesem Kampf fiel zuletzt noch die alte, vom Publikum besonders geliebte Inszenierung des „Rosenkavalier“ von Otto Schenk in der herrlichen Ausstattung Jürgen Roses zum Opfer. Eine unverzeihliche Dummheit.
Es ist ja keinesfalls so, dass die Inszenierungen der Ära Bachler durchweg spannende Neudeutungen erbracht hätten. Im Gegenteil. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde auf der Bühne das geboten, was Marco Frei anlässlich der „Idomeneo“-Premiere in der Neuen Zürcher Zeitung treffend als ein visuell wirksames „Deko-Theater“ bezeichnete, das „mit diskursiv anspruchsvollem Regietheater“ nicht zu verwechseln sei.
Musikalisch hingegen waren es gute, mitunter glanzvolle Jahre unter Bachlers Leitung. Und dieser Glanz fand sich nun wie unter einem Brennglas beim großen Bachler-Abschieds-Abend im Nationaltheater gebündelt. Wann je war auf einer Bühne eine solche Dichte von Opernstars versammelt? Was heute Rang und Namen hat in dieser Sphäre, erwies dem Intendanten seine Ehre: Abgesehen von Anna Netrebko, die wegen komplizierter Reisebedingungen offenbar nicht nach München fahren konnte, Bryn Terfel und Anja Harteros, die kurzfristig abgesagt hatten, waren sie alle dabei: Diana Damrau, Pavol Breslik, Günther Groissböck, Elīna Garanča, Anja Kampe, Nina Stemme, Jonas Kaufmann, Christian Gerhaher, Alex Esposito und einige andere mehr.
Die hohe musikalische Qualität der Aufführungen an der Bayerischen Staatsoper ist indes nicht nur den vielen Stars geschuldet, die Bachler immer wieder nach München einlud. Sie ist auch dem großartigen Orchester des Hauses zu danken, das Kirill Petrenko in der Spielzeit 2013 von seinem etwas spröden Vorgänger Kent Nagano übernahm und bis 2020 als Generalmusikdirektor leitete. Hoch konzentriert, mit sprechenden Details, klar konturiert erklang jetzt das melancholische Vorspiel zum dritten Aufzug der „Meistersinger“, bevor Wolfgang Koch mit bestechender Textverständlichkeit seinen Wahn-Monolog sang. Schneidende Akzente setzte Petrenko zusammen mit Marlis Peterson beim Schluss-Gesang der Salome. Zart, versonnen und farbenreich begleitete das Orchester den Zeit-Monolog der Marschallin, vorgetragen von Adrianne Pieczonka.
An der Weisheit dieser Frau hätte sich Nikolaus Bachler bei der Gestaltung seiner Abschieds-Gala vielleicht ein wenig orientieren sollen: „Leicht muß man sein“, weiß die Marschallin, „mit leichtem Herz und leichten Händen halten und nehmen, halten und lassen“. Dass Nikolaus Bachler höchstselbst bedeutungsschwere Abschieds-, Wandlungs- und Trauer-Gedichte von Rilke („Sonette an Orpheus“) und Bachmann („Gestundete Zeit“) vortrug, verlieh dem Abend ein allzu großes, ein wenig peinlich berührendes Pathos. Fast gewann man den Eindruck, der Intendant, der doch höchst lebendig auf der Bühne stand und rezitierte, sei bereits zu den elysischen Feldern entrückt worden. „Errichtet keinen Denkstein“, rief Bachler mit einem Vers Rilkes den Hinterbliebenen zu. Hatten sie diese Absicht? Mir wäre das neu.