Balanchines „Jewels“ am Wiener Staatsballett
Das Wiener Staatsballett glänzt mit Balanchines „Jewels“
Wien, 2. November 2019, Christian Gohlke
Seit 2010 ist Dominique Meyer Intendant der Wiener Staatsoper. Sein Vertrag wurde übers Jahr 2020 hinaus nicht verlängert, und erst kürzlich wurde bekannt, dass der gebürtige Franzose noch vor Ablauf dieser Saison seinen neuen Posten als Chef der Mailänder Scala antreten wird. Beim Rückblick auf die Zeit seiner Intendanz hebt der angenehm leise Direktor zwei Punkte als besonders geglückt hervor. Zum einen die Ausweitung des Repertoires im Opernhaus vor allem durch Werke des 20. Jahrhunderts (Janacek, Hindemith, Weill, Eötvös, Adès, Trojahn usw.). Und zum anderen die Förderung des Balletts, die ihm vor allem dank Manuel Legris, den Meyer von Paris nach Wien geholt hat, gelungen sei. Zusammen mit dem neuen Ballett-Chef wurden die Positionen der Ersten Solisten an der Staatsoper eingeführt, so dass den Tänzern am Haus eine Entwicklung bis an die Weltspitze möglich geworden ist. Ganz behutsam habe man dann, wie Meyer erzählt, das Niveau von Jahr zu Jahr angehoben, und Legris´ besondere Leistung bestehe nicht zuletzt darin, die Tänzer, die aus vielen unterschiedlichen Schulen kämen, in einem gemeinsamen Stil zu vereinen.

Wie fruchtbar diese Arbeit war, zeigte die erste Premiere dieser Spielzeit: George Balanchines „Jewels“. Gerade dieses Stück aufs Programm zu setzen, ist durchaus heikel. Denn der Erfolg einer solchen Aufführung steht und fällt mit der technischen Brillanz des Ensembles. Und Balanchines überaus anspruchsvolle Choreographie macht auch kleinste Mängel gnadenlos sichtbar. Wie ein Pianist, der beim Spielen von Skalen oder Etüden technische Schwierigkeiten nicht durch Musikalität oder tiefen Ausdruck wettmachen kann, so offenbart ein Tänzer, der sich mit Balanchine auf der Bühne zeigt, jede noch so kleine Unzulänglichkeit: Jedes nicht perfekt gestreckte Bein, jede nicht exakt synchrone Armbewegung, jeder winzige Fehler wird hier wie unter einer Lupe sichtbar. Es gelingt nicht alles makellos an diesem Wiener Premierenabend, das nicht, aber wie diese Compagnie „Jewels“ tanzt, verdient doch höchste Anerkennung. Denn die Tänzer finden einerseits zu erstaunlicher Homogenität und schaffen es andererseits, den je eigenen Charakter der drei ganz unterschiedlichen Teile klar herauszuarbeiten.

Der Legende nach wurde das Ballett durch einen Besuch des Choreographen bei einem Juwelier in der Fifth Avenue inspiriert. Aber der Bezug zwischen seinem Ballett und den Edelsteinen, die er bei Van Cleef & Arpels zu sehen bekam, ist so lose, dass Balanchines neue Arbeit erst knapp vor der Uraufführung 1967 beim New York City Ballet auf den Namen „Jewels“ getauft wurde. Sein Triptychon ist tanzgeschichtlich bedeutsam, gilt es doch als erstes rein abstraktes abendfüllendes Ballett überhaupt. In den drei Teilen Emeralds, Rubies und Diamonds wird keine Geschichte erzählt. Aber jeder Abschnitt reflektiert gewissermaßen eine Lebensstation Balanchines und eine mit ihr verknüpfte choreographische Tradition.

„Emeralds“ erinnert nicht nur wegen des grünen Hintergrundes und der langen Tüllröcke (Bühne: Peter Harvey, Kostüme: Karinska) an romantische Ballette wie „Giselle“ und „La Sylphide“, sondern auch in der sanft fließenden Bewegungssprache, die Balanchine zur ebenfalls ruhigen Musik von Gabriel Fauré kreiert hat und die das wunderbar disponierte Orchester der Wiener unter der Leitung von Paul Connelly geschmeidig und farbenreich mit kostbar musizierten Soli (besonders schön: Karl-Heinz Schütz an der Flöte) zart impressionistisch erklingen lässt. Zwei Solistinnen stehen im Mittelpunkt, und auch sie erinnern in ihrer schwebenden Unnahbarkeit ein wenig an romantische Heldinnen, wie der Choreograph sie aus Paris gekannt haben mag. Besonders beeindrucken hier Natascha Mair und Robert Gabdullin mit eleganten Hebefiguren und grazilem Auftreten.

Bezieht sich der erste Teil des Abends auf die romantische Traditon des 19 Jahrhunderts, so sind die Einflüsse der amerikanischen Gegenwart zur Zeit der Entstehung des Balletts im Mittelstück „Rubies“ unverkennbar. Nicht weicher Lyrismus ist hier prägend, sondern Schnelligkeit und harte Rhythmik, vorgegeben von Igor Strawinskys Capriccio für Klavier und Orchester (ohne zu forcieren mit scheinbarer Leichtigkeit gespielt von Igor Zapravdin). Die Damen des Corps de ballets erinnern hier in kurzen Röcken an Revü-Tanzerinnen vom Broadway, die Herren erscheinen in ihren Jogging-Posen als Sportstypen der Gegenwart. Elemente des Tangos sind in der Choreographie ebenso auszumachen wie Andeutungen des Stepptanzes. Die Tänzer überzeugen hier mit einem pointierten, durchaus auch witzigen Auftritt, und Nikisha Fogo und Davide Dato brillieren mit stupender Technik als Solistenpaar.

Ist „Rubies“ als Hommage an die USA zu verstehen, in denen Balanchine seit 1933 gelebt und wo er 1946 das New York City Ballet gegründet hat, so kann man das abschließende Stück „Diamonds“ als Referenz an die russische Heimat des Choreographen und an Marius Petipa ansehen, dessen „Schwanensee“ oder „Bayadère“ als Vorbilder gedient haben. Mit Olga Esina stand in Wien eine Ballerina auf der Bühne, die über die für diese Partie erforderliche Balance und Spitzentechnik beeindruckend verfügt, wenn es im Zusammenspiel mit Jakob Feyferlik, der mit geschmeidigen Pirouetten glänzte, auch zu kleineren Griffunsicherheiten kam.

Die hervorragende Leistung des Wiener Ensembles ist umso bemerkenswerter als sich bereits jetzt abzeichnet, dass sich die Zusammensetzung der Compagnie stark ändern wird, wenn in der kommenden Spielzeit Martin Schläpfer die Leitung des Staatsballettes übernehmen wird. „Jewels“ indes wurde zu einem Triumph – nicht nur für die großartigen Tänzer des Hauses, sondern auch für Manuel Legris, dessen harte Arbeit einen solchen Abend allererst ermöglichte. Chapeau!