Als im Oktober 2021 die sogenannte Isarphilharmonie in München eröffnet wurde, kannte der Jubel keine Grenzen: Der Bau, zu dem eine alte Trafohalle der Münchner Stadtwerke als Foyer dient, bringe den Charme Berlins an die Isar, hieß es. Der Konzertsaal selbst, der nur 43 Millionen Euro gekostet habe, verfüge über eine phantastische Akustik, und schließlich sei es alles in allem nicht weniger als ein Wunder, dass in Deutschland überhaupt ein größeres Bauprojekt in der geplanten Zeit vollendet werde, ohne den Kostenrahmen um mindestens das Doppelte zu überschreiten. Nun, das immerhin mag sein. Über die Optik und Akustik der Philharmonie kann man hingegen ganz anderer Meinung sein als das Gros der Pressestimmen. Will man vor einem klassischen Symphoniekonzert denn wirklich in einer hässlichen und kalt ausgeleuchteten Industriehalle herumstehen, mit der verglichen der Münchner Hauptbahnhof eine Wohlfühloase ist? Der Konzartsaal selbst erinnert mit seinen schwarzen Wänden ein wenig an ein Multiplex-Kino. Immerhin richtet sich der Blick in dem klar strukturierten, 1900 Zuschauer fassenden Raum auf die zentrale Bühne, deren helles Holz aus dem Dunkel hervorleuchtet. Enttäuschend ist aber die Akustik, für die Yasuhisa Toyota verantwortlich zeichnet, der auch die Elbphilharmonie in Hamburg betreute.
Dass das Maestoso im 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms etwas spannungslos blieb, lag aber wohl nicht nur am matten Klang des Saales. Manfred Honeck gelang es im Konzert am 17. Dezember noch nicht, einen großen Bogen zu spannen, so dass auch der von Igor Levit virtuos gehandhabte Klavierpart im symphonischen Gesamtklang mehr unterging als eingebettet erschien. Die großartig gespielte Hornpassage und die nuancenreichen Holzbläser im Adagio machten deutlich, dass die Mittelstimmen im neuen Saal akustisch am besten klingen. Hier überzeugte auch das zarte Zusammenspiel zwischen Orchester und Pianist. Schal und glanzlos tönten dagegen die Streicher des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks.
Dass aber gerade die Streicher dieses Spitzenorchesters zu Wärme und seidigem Glanz fähig sind, davon konnte man sich am 10. Dezember bei einem Konzert unter der Leitung Herbert Blomstedts im Herkulessaal überzeugen, dessen Akustik bei sehr geringer Auslastung geradezu ideal ist. Blomstedt, inzwischen 94 Jahre alt, aber agil und unternehmenslustig wie nur je, brachte zunächst eine nordische Rarität nach München. Wilhelm Stenhammar (1871–1927) schrieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts das meistgespielte schwedische Klavierkonzert – das allerdings außerhalb Schwedens so gut wie nie aufgeführt wird. Die vier Sätze seines Opus 23 in d-Moll gehen pausenlos ineinander über, so dass dem Hörer in den spätromantischen Klangwelten leicht die Orientierung abhandenkommen kann. Umso bemerkenswerter war die Klarheit und Souveränität, mit der Blomstedt und Martin Sturfält dieses originelle Konzert zur Aufführung brachten. So ausgefallen der erste Teil des Abends war, so altvertraut war der zweite. Doch Beethovens „Eroica“ erklang unter Blomstedts Leitung in keinem Moment routiniert oder altmeisterlich. Im Gegenteil. Schnell und hell, flexibel und präzise war sein Zugriff, eher von der historisch informierten Aufführungspraxis als von der romantischen deutschen Tradition inspiriert. Das hat Vorteile und Nachteile gleichermaßen. So ist es zwar herrlich, im Scherzo die federnden Geigen oder im Trauermarsch den Zerfall des Themas am Satzende zu hören. Dass aber im Finale vor der Presto-Stretta über das wunderbar musizierte Oboen-Solo und die anschließenden harmonischen Wechsel hinweggespielt wurde, nahm dem Satz doch einiges seiner Größe und Ausdrucksmacht. Ein wenig Pathos hätte hier nicht geschadet.
Auch wenn der Klang, besonders jener der Streicher, im Herkulessaal weit schöner, das heißt farbenreicher und glanzvoller zu Geltung kommt als in der Isarphilharmonie: Antonin Dvořáks Symphonie Nr. 8 in G-Dur wurde unter der Leitung Manfred Honecks zum mitreißenden Konzerterlebnis. Schnell, ja fast zackig erklang das Allegro des Kopfsatzes; im Adagio waren es wiederum die wunderbaren Holzbläser, die vor allem für sich einnahmen; charmant und höchst bewegt erklang das tänzerische Allegretto mit seinem berühmten Walzer; vielleicht ein wenig allzu hart und schnell das abschließende Allegro-Finale, das doch „ma non troppo“ gespielt sein möchte.
Großer Jubel nach dem Konzert, der fast vergessen machte, dass der Saal coronahalber nur zu einem Viertel belegt sein durfte. Doch lange lässt sich die harte Wirklichkeit in der Isarphilharmonie nicht ausblenden. Wenige Schritte nur, und schon steht man im abscheulichen Industrie-Foyer, möchte die Augen schließen vorm grellen Neonlicht wie vor Transparenten mit Willkommens-Aufschriften, die schlaff am blauen Metallgeländer hängen, tappt durch die regnerische Nacht zur fernen U-Bahn-Station, fährt nach Hause und wundert sich über jene Kollegen, die dergleichen Architektur zu preisen vermögen.