Als Trilogie will Regisseur Vincent Huguet Mozarts drei Da-Ponte-Opern verstanden wissen. Sie soll die Geschichte eines jungen Mannes, Guglielmo, erzählen, der „zum Ende von ‚Cosi fan tutte‘ verheiratet ist, in ‚Le nozze di Figaro‘ der Graf Almaviva wird und anschließend den ehelichen Wohnsitz verlässt, um sich unter der neuen Identität des Don Giovanni aufzumachen.“ So der Regisseur im Programmbuch. Koppeln und gewissermaßen geistig unterfüttern (oder überformen) will er diese Idee mit Verweisen auf Foucaults dreibändiges Werk „Sexualität und Wahrheit“. Die Titel der Einzelbände könnten, so Huguet, gleichsam als Untertitel zu den drei Da-Ponte-Opern verstanden werden. Cosi: „Der Wille zum Wissen“, Nozze: „Der Gebrauch der Lüste“ und schließlich Giovanni: „Die Sorge um sich“. Wäre eine umgekehrte Reihenfolge nicht gerade so stimmig? Wie gesucht und problematisch dieses ganze Konstrukt ist, hat Bernhard Metz in seiner Rezension über den neuen „Figaro“ im „Morgenblatt“ ausführlich dargelegt. Es muss hier also nicht weiter darauf eingegangen werden – zumal erweiterte Kenntnisse Foucaultscher Theoreme die neue „Cosi“-Inszenierung auch nicht besser machen.
Vincent Huguet verlegt die Handlung der Oper ins Italien der späten 60er oder frühen 70er Jahre. Die Bühne (Aurélie Maestre) will südliche Leichtigkeit evozieren. Sie zeigt zunächst eine Szenerie am Strand, später ein im Chic der damaligen Mode ausgestattetes Appartement. Mediterrane Vegetation (blühende Agaven, phallisch aufragende Kakteen) steht dabei im Kontrast zu massiven schwarzen Steinquadern, die als Wellenbrecher am Strand aufgeschichtet sind. Im Hintergrund zeichnet sich im Schattenriss die Kontur eines Bergrückens, wohl eines Vulkanes, ab, und brodelnde Kräfte spürt auch Marina Viotti als Dorabella mit glutvollem Mezzo in ihrer Brust, wenn Guglielmo (anfangs etwas rau, später mit Schmelz: Gyula Orendt) ihr ein Herz als Zeichen des neuen Liebesbundes um den Hals legt und zugleich seines betrogenen Freundes Ferrando gedenkt. Paolo Fanale singt ihn mit zunächst noch engem Tenor, der in den beiden großen Arien „Un‘aura amorosa“ und „Tradito, schernito“ jedoch sicher geführt und nuanciert im Ausdruck ist.
Die eruptiven Kräfte der Natur erscheinen durch die Ausstattung dieser Inszenierung von Anfang an als Bedrohung einer zerbrechlichen Zivilisation. Das Schiff, auf dem die großartige Federica Lombardi mit weichem, doch kraftvollem und auch im Piano tragfähigem Sopran ihr großes Rondo „Per pietà“ singt, droht zu kentern und sie, bildlich gesprochen, den Fluten der Leidenschaft anheimzugeben, denen sie doch wie ein Fels in der Brandung („Come scoglio“) trotzen wollte. Dass Ferrando und Guglielmo ihr zunächst gediegenes Erscheinungsbild mit Bügelfalte und Krawatte für die grausame Wette mit Don Alfonso (Lucio Gallo) gegen einen Hippie-Look der Flower-Power-Generation eintauschen, erweist sich als durchaus stimmig: Die Idee der Treue wird schließlich im grausamen Spiel durch die Triebkräfte der Erotik zuschanden.
Und dennoch überzeugt die Aufführung nicht. Vincent Huguet scheint die heikle Geschichte, die Mozart und Da Ponte erzählen, noch nicht heikel und pikant genug zu sein. Seine Regie führt das Verkleidungsspiel durch wechselnd aufeinander bezogene Kostüm- und Haarfarben der beiden Paare so weit fort, dass am Ende, wenn Fiordiligi und Dorabella mit ihren großen Brauthüten zugleich blonde und braune Perücken abnehmen, völlig unklar ist, wer eigentlich nun wen verführt und betrogen hat. Das mag als Gedanke reizvoll sein; das potenzierte Verwirrspiel depotenziert aber zugleich die Glaubwürdigkeit der Gefühle, von der die Musik erzählt, zumal die Regie völlig offenlässt, welche Figur zu welchem Zeitpunkt über welchen Kenntnisstand verfügt. Hinzu kommt, dass Huguet die sechs Figuren der Oper keinesfalls besonders feinsinnig zu zeichnen versteht. Über die gängigen Rollen-Klischees kommt er – abgesehen von Despina (Barbara Frittoli mit zu schwerer Stimme), die, wenig überzeugend, nicht als gewitztes Kammermädchen, sondern eher als gelangweilte Hausgenossin auftritt – kaum hinaus.
Es liegt aber auch an Daniel Barenboims Dirigat, dass diese neue Berliner „Cosi“ nicht zündet. Gewiss, der Abend ist gut geprobt, das Zusammenspiel zwischen dem präzise musizierenden Orchester und dem Ensemble gelingt ausgezeichnet. Immer wieder gibt es wunderbar geformte Momente. Wie Barenboim, um nur ein Beispiel zu nennen, die schwebend-ungewisse, bedrohliche Atmosphäre im zweiten Finale spürbar macht, wenn die angeblich frühzeitig zurückgekehrten Verlobten im Nebenzimmer ihre Nebenbuhler aufzusuchen vorgeben und die beiden schockierten Damen vor Furcht zitternd zurückbleiben („Dal timor io gelo, io palpito“), ist so spannungsgeladen und sprechend, wie man diese wenigen Takte noch nie glaubt gehört zu haben. Insgesamt jedoch gerät Barenboims Interpretation mit sehr zurückgenommenen Tempi allzu behäbig und schwerleibig. Und so ist die Reaktion des Publikums, das die Ränge der Staatsoper nur schütter besetzt, nach dreieinhalb Stunden eher verhalten. Dieser „Cosi“ fehlt es zugleich an Tiefe und an Leichtigkeit.