Danse macabre
Erneut bewahrt Giselle Herzog Albrecht vor dem Tod durch Tanz beim Bayerischen Staatsballett
München, 9. Februar 2025, Christian Gohlke

„Giselle“ ist der Inbegriff des klassisch-romantischen Balletts, fehlt in keiner großen Compagnie und ist natürlich auch im Repertoire des Bayerischen Staatsballetts vertreten. Seit 1974 ist die Fassung von Peter Wright im Münchner Nationaltheater zu sehen, die sich eng an der Choreographie von Marius Petipa orientiert. Zur Wiederaufnahme der Produktion im Herbst 2016 unter der Leitung von Igor Zelensky wurden die beiden Hauptrollen mit international renommierten Stars besetzt: Sergei Polunin tanzte den Albrecht und Natalia Osipova die Titelpartie Giselle. Jetzt, da nach längerer Pause „Giselle“ auf den Spielplan des Staatsballetts zurückgekehrt ist, sind alle Partien mit Tänzern des Staatsballetts besetzt, das sich ganz offenbar in sehr guter Form befindet.

Doch Technik alleine genügt nicht für eine überzeugende „Giselle“: Besonders im realistischeren ersten Akt kommt es auch auf eine glaubhafte und anrührende Erzählweise an. Ksenia Shevtsova, ausgebildet an der Waganowa-Akademie in Moskau seit 2024 in München, ist eine technisch hervorragende Giselle mit bezwingend eleganter Armführung und federleichten Sprüngen, dabei allerdings etwas kühl und nicht allzu mädchenhaft. Jakob Feyferlik gibt Herzog Albrecht nicht als maskulinen Protz, sondern eher lyrisch weich. Er ist ein sicherer, verlässlicher Partner für Ksenia Shevtsova und begeistert mit seiner präzisen Technik: Die schier endlose Reihe der „entrechat six“ (ein Sprung, der in der fünften Position beginnt und endet, nachdem die Beine in der Luft dreimal gekreuzt wurden) gelingt ihm mit bestechender Präzision. Auch Konstantin Ivkin überzeugt bei seinem Debüt als eifersüchtiger Hilarion mit seiner intensiven Rollengestaltung, besonders am dramatischen Ende des ersten Aktes. Er deckt auf, dass sein Rivale Albrecht keineswegs ein einfacher Bursche vom Lande, sondern adelig und überdies verlobt ist, woraufhin Giselle mit offenem Haar und blassem Antlitz erst dem Wahnsinn verfällt und dann effektvoll zu Boden sinkt. Todesursache: Gebrochenes Herz. Große Gesten zum Ausdruck großen Jammers, befeuert vom klangschönen Bayerischen Staatsorchester. Wenn die Wilis dann – also die Geister jener Mädchen, die als Verlobte vor dem Vollzug der Ehe verstarben – um Mitternacht unter der Ägide ihrer Königin Myrtha (mit beeindruckender Präsenz: Carollina Bastos) die Szenerie um Giselles Grab am Waldesrand beherrschen, so ist die nächtliche Landschaft in der alten Ausstattung von Peter Farmer noch immer eine atmosphärisch dichte Augenweide. Hier wird zunächst Hilarion und dann Albrecht von den weißen Gespenstern dazu gezwungen, sich buchstäblich zu Tode zu tanzen. Doch Giselle steht dem immer kraftloser werdenden Albrecht bei, bis endlich der Morgen graut und die Wilis ihre Macht über ihn verlieren. Großer Applaus für einen starken Abend beim Bayerischen Staatsballett!