Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ an der Bayerischen Staatsoper
Leoš Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ an der Bayerischen Staatsoper
München, 30. Januar 2022, Raphael Haghuber

Dieser Premierenabend an der Bayerischen Staatsoper sorgte für ein Gefühl der allgemeinen Gelöstheit, ja der erfüllten Freude am Leben, sowohl beim Publikum als auch bei den Musikern. Auf dem Programm stand Leoš Janáčeks 1924 uraufgeführte Oper „Das schlaue Füchslein“, die es wie nur wenige andere musikdramatische Werke versteht, der conditio humana ohne Pathos und Schicksalsschwere ganz nahe zu kommen. So verstanden auch die Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla und der Regisseur Barrie Kosky den annähernd hundert Jahre alten Stoff, dem Sie neues Leben einhauchen sollten, indem sie ihn ernstnahmen und nicht auf eine gefällige Kinderoper reduzierten.

Schon die Genese dieser Oper ist kurios: Die Haushälterin des Komponisten war begeistert von den täglich erscheinenden kurzen Comic-Streifen einer lokalen Zeitung, die auf humoristische und sogar sozialkritische Weise durch die Spiegelfigur einer Füchsin das menschliche Leben thematisierten. Janáček ließ sich von seiner Angestellten dazu überreden, eine Vertonung in Angriff zu nehmen. Eine Oper, entstanden aus Comics, das würde auch heutzutage noch als gewagt empfunden werden. Doch der tschechische Komponist fand in dieser vermeintlich simplen Vorlage die Möglichkeit, vom Kreislauf des Lebens, vom Wechselspiel zwischen Mensch und Tier, Kultur und Natur zu erzählen, und er tat dies in seiner einzigartigen musikalischen Sprache. Nun ist Janáček nicht als Melodienschreiber in die Operngeschichte eingegangen, sondern vielmehr als raffinierter Kombinierer von kurzen, sehr prägnanten Motiven, die meist auf dem Sprechrhythmus der tschechischen Sprache basieren. Das Ergebnis ist eine wie ein Kaleidoskop anmutende Tonsprache, die in der schnellen Abfolge von Themenbausteinen besteht, oft getragen von einem treibenden Ostinato und generell komplexen Rhythmuswechseln. Sie fordert eine unmittelbare Kommunikation mit dem Zuhörer heraus, verstört mitunter durch ihren holzschnittartigen und auch schroffen Gestus. Janáčeks Kompositionsprinzip − er selbst verwendete den Begriff der Sprechmelodie − sorgt dafür, dass man hellwach ist und zugleich tief in die Seele der Figuren blicken kann. Für einen besonderen Wiedererkennungswert sorgen im „Füchslein“ noch die Anklänge an einen böhmischen Volkston sowie das Einarbeiten von Naturlauten, wie beispielsweise das Surren der Insekten oder der Gesang von Vögeln.

Im Zentrum der episodenhaft strukturierten Handlung, die einige Zeitsprünge beinhaltet, stehen das titelgebende Füchslein und der Förster. Letzterer fängt das Tier vordergründig ein, um seiner Frau mit der Aussicht auf einen Pelz eine Freude zu machen, doch eigentlich rührt das Aussehen des Füchsleins etwas in ihm an. Nachdem die Hühner seinem natürlichen Jagdtrieb zum Opfer gefallen sind, flieht das Füchslein jedoch wieder in den Wald, wo es sich in einen Fuchs verliebt. Die folgende Episode zeigt, wie der Förster in der örtlichen Gastschenke im Verbund mit dem Schulmeister und dem Pfarrer die vertanen Chancen des Lebens beklagt. Im Anschluss daran werden Füchsin und Fuchs mit ihrer großen Kinderschaar gezeigt. Das Füchslein erweist sich nun als tatsächlich schlau, indem es der Falle des Jägers Haraschta entgeht. Leider erschießt dieser dann trotzdem das Tier. In der Gastwirtschaft drehen sich die Gespräche nun um das Thema des Älterwerdens. Zuletzt geht der Förster allein in den Wald und wird sich plötzlich dessen Sinn als Lebensspender bewusst: Im Wald spüre man den Kreislauf von Leben und Tod besonders stark, der einer ständigen Erneuerung entspricht, ein tröstlicher Gedanke. Die Oper schließt aber mit Humor: Ein kleiner Frosch ärgert den Förster, wie es schon sein Großvater zu Beginn der Handlung getan hat.

Eine Oper, die Menschen und Tiere nebeneinander auftreten und singen lässt, verleitet selbstredend zu dem Gedanken, man müsse mit Tierkostümen und aufwändiger Maske arbeiten, um diese Sphären voneinander zu trennen. Barrie Kosky wollte gerade das vermeiden und die nicht zu beantwortende Frage, wer hier wen spiegelt, stärker in den Mittelpunkt rücken. Die schnelle Abfolge von Szenen innerhalb eines Akts stellt er durch eine Vielzahl an Vorhängen sicher, die sich heben und senken, damit die Zuschauer von einem Bild in das nächste gleiten. Die menschlichen Figuren tragen überwiegend schwarze, förmliche Kleidung, während die Tiere in helleren, sanft farbigen und legeren Kostümen auftreten; sie versprühen eine lebendige Leichtigkeit. Exaltierte Ausnahmen bilden Hahn und Hühner auf der Stange, die einer erotischen Revue entsprungen scheinen. Kosky und sein Team entschlackten somit die Ausstattung auf das Nötige und geben den Blick auf die Handlung frei, allerdings zahlen sie dafür einen Preis: Indem die Allgemeingültigkeit und Übertragbarkeit der Geschichte betont wird, opfert man den Charme einer gewissen Folklore. Die vielen Vorhänge beispielsweise, bestehend aus glitzerndem Plastik, büßen mit der Zeit an Wirkung ein und machen einer Eintönigkeit Platz, die auch durch den Farbwechsel zwischen silber, schwarz und rot nicht aufgehoben werden kann. Es ist paradox: Kosky wollte folkloristischen Kitsch vermeiden, ersetzte diesen aber durch den sterilen Lametta-Kitsch billiger Weihnachtsdekoration.

Immerhin, die Spielfreude aller Beteiligten auf der Bühne vermochte dem etwas entgegenzusetzen: Solisten, Chor und Kinderchor bevölkerten mit spürbarer Lust am Geschehen die Szene und belebten die sterile Vorhangkulisse, ließen es menscheln und überzeugten in der Personenregie. An manchen Stellen verließ Barrie Kosky offenbar sein Gespür für den sogenannten richtigen Moment, vor allem dann, wenn er humoristische Effekte ausreizte, die sich gegen die Musik stellten. Viele der musikalisch zartesten oder auch verstörendsten Passagen in Janáčeks Oper konnte das Publikum nicht genießen oder klar verfolgen, da ein Gag die Stille zerbrach oder gar nicht erst aufkommen ließ. Beispiele dafür wären das unnatürlich penetrante Kinderlachen, der billige Rückgriff auf eine symbolische Orgie (Opernballett) oder das nervtötende Gebrabbel eines aufgescheuchten Eis nach dem Massaker im Hühnerstall. Das erschien alles zu platt und oberflächlich. Eine persönliche Bemerkung sei erlaubt: Mein Herz blutete besonders nach dem großartigen Liebesduett der Füchse, als sich die Musik rapide zu einem Höhepunkt der Spannung aufbaute und, typisch Janáček, nach einem kurzen Schlussakkord jäh abbrach. Man muss nach solch einer Steigerung die eintretende Stille zum Verarbeiten des Gehörten nutzen können, doch der Regisseur ließ von beiden Seiten der Bühne aus dem Off mehrfach Konfettikanonen abfeuern. Ein wirkungsvoller Effekt, sicher, aber einer, der die Musik ihres ureigenen Effekts beraubte. Das ist umso bedauerlicher, da Kosky normalerweise ein gutes Gespür für Timing besitzt, aber das war ein bisschen zu viel Revue, ein bisschen zu sehr Komische Oper Berlin.

Die Frage der Notwendigkeit stellt sich auch bei dem vom Regisseur erdachten stummen Vorspiel vor dem Einsetzen der Musik, welches das Begräbnis eines erfundenen Kinds des Försters vor Augen führt. Kosky begründet im Programmheft diese Hinzufügung unter anderem mit der Verdeutlichung des Kreislaufs von Leben und Tod; der Bogen zum Ende der Oper ließe sich seiner Meinung nach so besser schließen. Dem ist entgegenzusetzen, dass der Gedanke des Zirkels sich im Verlauf der Handlung wie von selbst ergibt. Zudem widerspricht die Beerdigung der Leichtigkeit, mit der Leben und Tod hier von Janáček verhandelt werden, der Förster selbst besingt dies ja in seinem Schlussmonolog. Braucht es also zusätzlich eine tragische Vorgeschichte, damit der Förster zu einer glaubhaften Figur wird? Das ist zu bezweifeln, und Kosky hätte der dramaturgischen Konzeption des Komponisten ruhig vertrauen können.

Ausnahmslos erfreulich war die Besetzung, die zuallererst wieder einmal beweist, dass das Niveau des Ensembles der Bayerischen Staatsoper bis in die kleinste Rolle hinein enorm ist. Jonas Hacker, der mit seinem leuchtkräftigen Tenor sowohl die Mücke als auch den Schulmeister gibt, und Martin Snell, dessen profunder, perfekt geführter Bass dem Dachs wie dem Dorfpfarrer Kontur verleiht, seien hier beispielhaft genannt. Besonders hervorzuheben sind die Mitglieder des Kinderchors, als Ensemble und ebenso in Solorollen. Der Bayerische Staatsopernchor zeigt sich mit der kleinen Frauengruppe im Hühnerstall wieder einmal singdarstellerisch von seiner besten Seite. Das spricht auch für die sorgfältige Einstudierung durch den Chorleiter Stellario Fagone.

Wolfgang Koch ist die Partie des Försters, der mit der Belanglosigkeit des eigenen Lebens hadert und am Ende doch noch zu einer versöhnlichen Einsicht gelangt, wie auf den Leib geschrieben. Er kostet die Seelenzustände seiner Figur aus, indem er sein markantes Organ ganz in den Dienst des Theaters stellt. Er kann mürrisch und derb sein, aber auch zarte Empfindungen zeigen, all diese Facetten zeichnet er mit seiner Stimme trefflich nach. Insbesondere der pantheistisch geprägte Schlussmonolog des Försters gerät zu einem berührenden Ereignis. Es ist ein großer Gewinn für das Haus am Max-Joseph-Platz, dass solch ein Sängerdarsteller hier immer wieder große Opernrollen auf eindringliche Weise porträtiert.

Einen weiteren Gewinn oder besser gesagt eine ertragreiche Ernte fährt die Bayerische Staatsoper mit der Besetzung von Elena Tsallagova als Füchslein und Angela Brower als Fuchs ein, denn beide waren einst Mitglieder des hiesigen Ensembles und haben sich seither ihre Sporen auf den Bühnen der Welt verdient. Tsallagova singt und spielt die Titelpartie perfekt. Ihr Füchslein ist je nach Bedarf verspieltes Kind, überheblicher Teenager und verliebtes Mädchen. Mit ausgereifter Technik und gezieltem Einsatz von Klangfarben, vor allem mit strahlender Höhe, meistert sie den Parcours ihrer Rolle höchst beeindruckend. Sie steht der legendären Lucia Popp in der berühmten Studioaufnahme unter Charles Mackerras in nichts nach. Ebenso beglückend gestaltet Angela Brower den Fuchs. Ihr Mezzosopran hat über die Jahre an Kraft und Farbe noch gewonnen, und als ohnehin schon gefeierte Interpretin von Hosenrollen (Komponist in Ariadne, Niklausse in Les contes d'Hoffmann) ist ihr der juvenile Übereifer des Liebhabers ganz vertraut. Das Liebesduett der beiden Tiere im Zweiten Akt ist in jeder Hinsicht beglückend, stimmlich wie darstellerisch hat man es hier mit Idealbesetzungen zu tun, und das Publikum wird von den beiden Sängerinnen in die Leichtigkeit des Daseins mit hineingezogen. Was kann man sich mehr wünschen?

Die musikalische Leitung wurde glücklicherweise der exzellenten Mirga Gražinytė-Tyla anvertraut. Souverän lotst sie das Orchester durch alle Fallstricke dieser wahrlich nicht einfachen Partitur mit ihren schroffen Stimmungswechseln und rhythmischen Eigenarten. Egal ob mit festem Zugriff oder ob schmeichelnd zart, ihre Hände scheinen die ganze Geschichte zu erzählen. Das Bayerische Staatsorchester folgt Gražinytė-Tyla auf diesem Weg und zieht je nach Bedarf die passenden Register: Es tönt dunkel, geheimnisvoll, aber auch bedrohlich, aggressiv oder aber sehnsuchtsvoll, lieblich aus dem Orchestergraben. Vor allem die Verwandlungsmusiken und Nachspiele geben den Musikern die Möglichkeit zu glänzen. Dirigentin und Orchester verleihen dem Werk die nötige Binnenstruktur, auch wenn das Bühnengeschehen es ihnen nicht immer leicht macht. Allen Qualitäten zum Trotz klingt das Orchester dennoch bisweilen − man traut es sich kaum auszusprechen − zu vollmundig und samtig, zu wenig trocken und holzschnittartig. Ein typischer Janáček-Stil bräuchte noch mehr Risikobereitschaft und Rigorosität, vor allem hinsichtlich der rhythmischen Präsenz, die messerscharf sein sollte. Auf der anderen Seite ist solch ein zugespitztes Spiel nicht unbedingt Teil der DNA des Bayerischen Staatsorchesters, das sich nach wie vor als Garant für einen unverwechselbar romantischen Klang versteht. Sicher ist das ein Meckern auf hohem Niveau; man könnte es auch positiv formulieren: Hier spielt man Janáček eben auf diese Weise. Und als kluge Orchesterleiterin sollte man natürlich nicht versuchen, ein Orchester klanglich gegen den Strich zu bürsten.

Alles in allem trotz manch irritierenden Details ein beglückender Abend, der dem pandemiegeplagten Publikum ein Stück Leichtigkeit mit auf den Weg gab und für Ovationen sorgte. Das richtige Werk zur richtigen Zeit? Unbedingt!