In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk wies Riccardo Muti jüngst auf „eine Vorliebe jüngerer Dirigenten für beeindruckende Lautstärke“ hin, „die auch das Publikum mit wenigen Ausnahmen begeistert.“ Dieser Entwicklung sei es wohl zuzuschreiben, dass die Musik Schuberts aus „den symphonischen Konzertprogrammen verschwindet“. In der Tat: Wer die Spielpläne der großen Orchester mustert, seien es die Wiener oder Berliner Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks oder das Concertgebouw-Orchester, wird Mutis These bestätigt finden: Schostakowitsch und Mahler, Brucker, Strauss und andere spätromantische Schwergewichte dominieren mit ihren üppigen, mitunter schwülstigen Klangwelten die Spielpläne. Werke von Mozart, Schubert, Haydn oder gar Bach werden von traditionellen Orchestern kaum mehr gespielt. –
Umso erfreulicher also, dass Muti nicht nur einen treffenden Befund lieferte, sondern dem konstatierten Übel mit seinem Konzert auch entgegentrat: Joseph Haydns spätes „Te Deum“ und Franz Schuberts frühe Messe Nr. 2 G-Dur eröffneten den Abend. Die Wahl dieser Werke war eingestandenermaßen auch dem Wunsch des Dirigenten geschuldet, wieder einmal mit dem von ihm besonders geliebten Chor des Bayerischen Rundfunks zu arbeiten. Klangschön und bemerkenswert homogen, im Ausdruck stets vom Text getragen, geriet das „Te Deum“ mit seinem markanten Glaubenswillen zum Ausklang: „non confundar in aeternam.“ Auch in der wunderbaren (und ganz kurzen) Messe, die Schubert mit 18 Jahren innerhalb weniger Tage zu Papier brachte, folgte die Interpretation bemerkenswert genau den Worten des Messtextes, wobei Chor und Orchester bei allem Ausdruckswillen jederzeit mit einem äußerst kultivierten Klang begeisterten. Zart verschattet war im Credo von den „sichtbaren und unsichtbaren“ Dingen die Rede, über die der Schöpfergott waltet; schneidend erklang das „Crucifixus etiam pro nobis“, ungeheuer zart das beschließende Amen. Höhepunkt der Messe war freilich das „Agnus Dei“, das Siobhan Stagg, deren Sopran sehr schön mit Julian Prégardiens kraftvoll-hellem Tenor und dem kernigen Bassbariton Vito Priantes harmonierte, als ergreifende, in der Wiederholung durchaus schmerzliche Bitte gestaltete: „Agnus dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.“
Dass Muti nicht nur für entrückte Sphärenklänge der Richtige ist, sondern auch fürs durchaus Derb-Weltliche, zeigte sich nach der Pause bei der frühen Tondichtung von Richard Strauss „Aus Italien“. Das Werk, 1887 in München unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt und 1984 zum ersten Mal vom BRSO gespielt (übrigens unter der Leitung Riccardo Mutis), entstand nach einer längeren Reise nach Italien, die der Komponist vor dem Antritt seiner Stelle als Dritter Kapellmeister unternahm. Ähnlich wie Beethoven in der „Pastorale“ war es auch Strauss nicht so sehr darum zu tun, konkrete Landschaften, Menschen, Bauwerke sozusagen in Musik zu verwandeln, sondern die durch diese Reise empfangenen Stimmungen musikalisch zu vermitteln. Wenig überraschend, dass dabei starke Kontraste dominieren, die Muti denn auch kraftvoll herauszuarbeiten verstand: Schwelgerisch blühte der Orchesterklang im ersten Satz auf, der Eindrücke „Auf der Campagna“ wiedergibt. Gemütvolle Holzbläser malen die Stimmung am Strand von Sorrent, wo man die glitzernden Lichtreflexe auf der Meeresoberfläche durch flirrende Geigenläufe zu sehen meint. Tumultuös, aber nicht brutal, lebhaft, aber nie gehetzt war das abschließende Allegro molto, in dem Strauss ein „Napoleonisches Volksleben“ nachempfindet.– Tosender Beifall des Publikums, das der wohlgelaunte Maestro mit eleganter Wink-Geste glücklich verabschiedete.