„Sind die Bande der Freundschaft stärker als die Bande der Liebe?“ fragt die junge Argene (Benedetta Mazzucato) im dritten Akt von Antonio Vivaldis Oper „L´Olimpiade“ und bringt den Inhalt der zu den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik mit großem Applaus gefeierten Oper treffend auf den Punkt. Es geht um Freundschaft und Liebe. Zwei junge Männer, Licida (Bejun Mehta) und Megacle (Raffaele Pe), lieben dieselbe Frau: Aristea (Margherita Maria Sala). Licida hat einst Megacle das Leben gerettet, und seitdem sind sie beste Freunde. Und nun muss Megacle ausgerechnet für seinen Freund auf seine große Liebe verzichten. Aristeas Vater ist nämlich das Wohlergehen seiner Tochter völlig egal und lobt sie selbst als Preis für den Sieger der Olympischen Spiele aus – daher der Titel der Oper. Weil Licida sie unbedingt will, aber sportlich keine Chancen hat, bittet er Megacle unter seinem Namen an den Spielen teilzunehmen. Megacle gewinnt als Licida die Spiele, und wenn sich am Ende der Oper nicht herausstellen würde, dass Licida und Aristea eigentlich Geschwister sind und gar nicht heiraten können, dann hätte Megacle endgültig verloren. So kann er aber seine Aristea dann doch noch bekommen. Ganz leer geht Licida nicht aus: Er bekommt Argene zur Frau, die er, ein charakterlich zweifelhafter Draufgänger, einst verlassen hat.
Kaum ein anderes Libretto von Pietro Metastasio ist in der Barockzeit so oft vertont worden. Es lässt viel Raum für große Gefühlsausbrüche. Zwischendurch wollen sich alle einmal das Leben nehmen, dann füreinander sterben, dann werden sie von Eifersucht oder von Sehnsucht geplagt: Viel Platz für wunderbare Musik! Dass sich Innsbruck dazu entschlossen hat, diese selten gespielte Vivaldi-Oper aufzuführen, hängt auch mit dem Dirigenten und Intendanten der Festwochen zusammen, mit Alessandro De Marchi. 2010 hat er seine Intendanz mit Pergolesis Vertonung des Librettos begonnen, und da im nächsten Jahr Ottavio Dantone ihm als Intendant nachfolgen wird, wollte er mit derselben Geschichte, freilich vertont von einem anderen Komponisten, seine Intendanz abschießen. De Marchi dirigiert das Innsbrucker Festwochenorchester, das mit lauter Spezialisten für Barockmusik besetzt ist, schwungvoll und mit großer Präzision – nachdem die Ouvertüre, vielleicht das bekannteste Stück der Oper, wenig konturiert gelang. Die Rezitative dieser ausgesprochen rezitativlastigen Oper waren sehr genau und abwechslungsreich gestaltet, die übliche Besetzung durch eine Harfe verstärkt.
Vivaldi hat für die Oper ausdrucksstarke Musik gefunden. Er hatte 1734, als die Oper uraufgeführt wurde, keine seiner großen Stars zur Verfügung, und entsprechend fehlt es an hochvirtuosen Arien, die sich sonst in seinen Opern finden. Es ist eigentlich eine Nebenrolle, der Erzieher von Licida, der mit Koloraturen brillieren kann – und der Sopranist Bruno de Sá macht das mit seiner kultivierten, eleganten und feinen Stimme auch perfekt. Freilich: Ausdrucksstarke Spannung in großen Arien zu halten, das gelingt nicht jedem gleich gut und ist oft schwieriger als Virtuosität. Vollkommen überzeugend ist nur Bejun Mehta als Licida. Seine Rezitative sind durchgestaltet, die Arien haben einen großen Spannungsbogen und man hört ihm gebannt zu. An zweiter Stelle ist Benedetta Mazzucato als Argene zu nennen. Singt sie zu Beginn der Oper noch etwas verhalten, steigert sie sich von Akt zu Akt mit ihrer klaren, sorgfältig geführten Stimme. Raffaele Pe in der Rolle des Megacle singt und spielt den athletischen Freund mit großer Intensität, nur die Höhen seines Countertenors sind dann doch leider manchmal laut und schrill. Besonders bei seiner großen Arie „Lo sequitai felice“ im dritten Akt kommt er an stimmliche Grenzen. Margherita Maria Sala hat als Aristea einen warmen, schönen Contralto; die Rezitative gestaltet sie mit großer Intensität, aber ihrer Stimme fehlt schlicht die Durchschlagskraft, und es gelingt ihr nicht wirklich, in ihrer großen Arie „Sta piangendo la tortorella“ die innere Spannung zu halten. Christian Senn als König Clistene, dem seine Tochter völlig egal ist, legt seine Rolle in den ersten beiden Akten wohl bewusst stimmlich grob an, findet dann aber im dritten Akt zu sehr berührenden Tönen.
Stefano Vizioli hat die Regie übernommen. Er hat sich von der Olympiade 1936 in Berlin inspirieren lassen, von der legendären Freundschaft zwischen Jessie Owens und Luz Long im Angesicht der Nazis. Seine Inszenierung ist kurzweilig und unterhaltsam. Mit Witz, einer Prise Slapstick und ohne an entsprechenden Stellen vor großen Gesten und Pathos zurückzuschrecken, gelingt es ihm, die vier Stunden über zu fesseln. Zu Recht wurde die Inszenierung, der Dirigent, das Orchester und die Sänger mit viel Bravirufen bedacht.
Tags darauf war das von Giovanni Antonini gegründete Ensemble Il Giardino Armonico in Schloss Ambras zu Gast. Es war eine Gelegenheit, eine andere Seite von Vivaldi zu hören: Vivaldi, der Virtuose. Neben Sonaten für Streicher von Fontana, Buonamente, Castello und einem Konzert von Albinoni, das im ersten Satz beinahe wie irische Volksmusik klang, standen drei Konzerte für Flöte und Streicher auf dem Programm, und die Virtuosität, die unglaubliche Wendigkeit und Schnelligkeit, mit der Antonini die Blockflöten in den drei Konzerten spielte, entfachte Begeisterungsstürme. Mir selbst haben aber die getragenen Teile des Programms beinahe besser gefallen. Ein Höhepunkt war dabei das „Cum dederit“ aus Vivaldis „Nisi Dominus“, wobei Antonini auf der Schalmei die Melodie wunderbar klangschön zum Besten gab. Trotz stürmischem Applaus gab es nur eine Zugabe. Und warum die Pause bei einem recht kurzen Programm eine ganze halbe Stunde dauern musste, war mir auch nicht recht einsichtig. Wie dem auch sei: Die Innsbrucker Festwochen für Alte Musik sind auch dieses Jahr für Fans der Barockmusik eine Reise wert! Vivaldis „La fida Ninfa“ wird Mitte August sicher ein weiteres Highlight der Festwochen.