Als Beethoven an seiner 8. Symphonie arbeitete, war er auf dem Höhepunkt seines Ruhmes. Davon erzählt eine Anekdote. Im Sommer 1812 – Beethoven und Goethe weilen gemeinsam in Teplitz zur Kur – soll sich der Dichterfürst während eines gemeinsamen Spazierganges mit dem Komponisten darüber beklagt haben, dass es doch äußerst lästig sei, hier in der Sommerfrische der vielen Komplimente und Grüße wegen dauernd den Hut lüften zu müssen. Keine Sorge, soll Beethoven der Exzellenz geantwortet haben, die Komplimente gelten ja mir. Ob wahr oder nicht – die kleine Szene ist ein beredtes Zeugnis für Beethovens gehöriges Selbstbewusstsein.
Doch während seine Siebte „großen Beyfall und (…) ausserordentlich gute Aufnahme“ fand (so die Allgemeine musikalische Zeitung), hinterließ die Achte bei ihrer Uraufführung im Wiener Redoutensaal ein etwas ratloses Publikum: Das Werk „machte – wie die Italiener sagen – keine Furore.“ Dabei stellte der Rezensent klar, dass „die Ursache (…) keineswegs in einer schwächeren oder weniger kunstvollen Bearbeitung“ liege, sondern vor allem sei es unklug gewesen, dieses vergleichsweise heitere Werk nach der gewaltigen Siebten Symphonie zu spielen. So sei es zu einer „Uebersättigung von schon so vielem genossenen Schönen und Trefflichen“ gekommen, „wodurch natürlich eine Abspannung die Folge seyn muss. Wird diese Symphonie in Zukunft allein gegeben, so zweifeln wir keineswegs an dem günstigen Erfolge.“
Das Programm des jüngsten Konzertes des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks war in dieser Hinsicht klug zusammengestellt, erklang die Symphonie Nr. 8 in F-Dur, op. 93 doch gleich zu Beginn des Konzertabends im Herkulessaal der Münchner Residenz. Mit „Allegro vivace e con brio“ ist der Kopfsatz überschrieben, und Iván Fischer trug dieser Angabe Rechnung: Forwärtsdrängend, bewegt, zügig im Tempo und satt im von den Streichern dominierten Klang geriet dieser Einstieg durchaus mitreißend. Unter allen Symphonien Beethovens ist die Achte nicht nur die kürzeste, sondern auch die sozusagen am wenigsten romantische: Pathos kommt kaum auf, und anstatt eines tiefsinnigen langsamen Satzes folgt ein von starken rhythmischen Akzenten geprägtes Allegretto scherzando, das angeblich von der Erfindung des Metronoms beeinflusst worden sein soll. Der anschließende Satz wird manchmal als Karikatur des traditionellen Menuettes verstanden. Gemütvoll-behäbig, wie eine liebevolle Reminiszenz an Papa Haydn ließ Iván Fischer dieses Menuett abschnurren, wobei das eingelegte Trio mit weichen Horn- und Klarinetten-Klängen einen wohltuenden Kontrast bildete. Auch im Allegro-Finale kitzelte Fischer durch starke Kontraste und rhythmische Akzente die Pointen hervor. Ein musikalischer Spaß, der Beethoven einmal nicht als Titan zeigt, sondern als Komponist, der die musikalische Tradition souverän und lustvoll spielerisch beherrscht.
Einen ganz anderen Beethoven zeigten der Dirigent und Christiane Karg mit der Konzertarie „Ah Perfido“, op. 65 aus dem Jahr 1796 auf einen Text von Pietro Metastasio. Hier folgte der Komponist der Tradition großer Konzertarien, wie Haydn und vor allem Mozart sie verfassten. Christiane Karg stellte sich mit ihrem flexiblen und kraftvollen, in den Höhen leuchtenden Sopran ganz in den Dienst einer differenzierten Textausdeutung und arbeitete feine seelische Nuancen heraus. So klang gleich zu Beginn etwas wie Enttäuschung bei der Frage „tu parti?“ durch, welche die verlassene Geliebte an den eigentlich doch treulosen, wortbrüchigen und barbarischen Verräter stellt. Mit Furor gestaltete Frau Karg den Aufruf an die Rachegötter, dem Treulosen stets zu folgen – um dann reuevoll, zärtlich und weich doch um Aufschub zu bitten: „Fermate, vindici Dei!“, wobei die Klarinette ihrer Bitte am Ende des einleitenden Rezitativs weichen Nachdruck verlieh. Ganz mozartnah klangen die zärtlichen Streicher zur Einleitung der Arie. Kultiviert und klangschön gestaltete die Sopranistin die Piano-Wiederholung der Bitte um Mitleid („Per pietà“). Nur der seelischen Exaltation der folgenden Strophe („Ah crudel“) hätte man vielleicht einen noch etwas größeren Ton gewünscht.
Einen noch anderen Beethoven brachte der zweite Konzertteil mit der Symphonie Nr. 5 in c-Moll. Es war nicht unbedingt eine fein ziselierte Silberstiftzeichnung, die Iván Fischer und das BR-Orchester von dieser berühmtesten aller Symphonien lieferten. Eher wurde hier mit etwas grobem Pinsel gemalt, – der dafür umso leidenschaftlicher und kraftvoller geführt wurde. Eine mitreißende, ganz der romantischen Aufführungstradition verpflichtete Interpretation war das Resultat. Auch hier wählte der Dirigent einen dichten, kompakten Klang. Machtvoll und schicksalsschwer donnerte das einleitende Klopf-Motiv mit lang ausgehaltener Fermate. Im schwelgerisch musizierten Andante irritierte einzig ein Horn-Patzer, und wenn das Pizzicato der Bässe und Celli im Allegro vielleicht auch nicht ganz präzise gelang, so überzeugte die atmosphärisch dichte Überleitung zum Finale umso mehr. Hier gab es dann kein Halten mehr. Orchester und Dirigent steigerten sich zu einem fast gewalttätig anmutenden Jubel. Die „3 Posaunen“, von denen Beethoven selbst sagte, dass sie mehr und „bessern Lärm“ machten als „6 Pauken“, ließ Fischer direkt neben den Bässen im Stehen musizieren. Als Demonstration eines unbeugsamen Willens blieben die abschließenden C-Dur-Akkorde wie Exklamationen im Fortissimo stehen. „Ich will“, schrieb Beethoven, „dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiss nicht.“