Nach dem „Figaro“ nun also mit „Falstaff“ das zweite inszenatorische Totalversagen bei den diesjährigen Salzburger Festspielen. Ärgerlich ist das und sehr traurig.
Warum um alles in der Welt hat Christoph Marthaler sich bloß dazu entschieden, Verdis letzte Oper zu inszenieren, wo sie ihm doch grundgleichgültig zu sein scheint? Offenbar interessiert ihn die Geschichte so wenig, dass er eine Rahmenhandlung erfindet: Aufgeführt wird im Großen Festspielhaus nicht Giuseppe Verdis „Falstaff“. Gezeigt wird, wie ein Regisseur an einem Drehort, vielleicht in Texas oder Arizona gelegen, einen Film über Falstaff produziert. Die Bühne von Anna Viebrock – ein übler Verhau, der links eine Art von Vorführraum, mittig den braun-grün-gelb gekachelten eigentlichen Drehort mit steiflehnigem Sessel, rechts einen beliebigen Pool mit Liegestühlen zeigt, – lässt vermuten, dass diese Szenerie in den 1970er Jahren zu denken ist. Dazu passen die altbacken schrillen Kostüme: Schlaghosen, Jeanswesten, Karohemden, dicke Brillen. Der Direktor (Orson W. genannt in Anspielung an Orson Wells, der tatsächlich einmal einen Film über Falstaff drehte) arrangiert die Proben. Meistens wird gefilmt oder doch wenigstens der Ton mitgeschnitten. Und bald ist völlig unklar, ob die Figuren als Privatperson am Filmset oder als Gestalt der Oper agieren. Darin mag nun Marthaler eine bekümmernd dürre Parallele zur Oper gesehen haben, schließlich sind auch in Verdis spätem Meisterwerk Verkleidung und Spiel integraler Bestandteil der Handlung. Nur dass bei Marthaler die Figuren ohne jede Kontur bleiben und die Handlung letztlich nicht erzählt wird. Gags am Filmset, gekonnt gespielt (Kampf mit dem Wäschekorb oder mit sich verheddernden Filmspulen), können über die szenische Ödnis nicht hinwegtäuschen. Einen derart drögen „Falstaff“ gab es wohl nie zuvor in Salzburg. Und leider konnte Ingo Metzmacher dieser Bühnenkatastrophe mit den Wiener Philharmonikern nichts Rettendes entgegensetzen. Es fehlt an Präzision, das berühmte Oktett, in dem Verdi den 6/8-Takt der Damen mit dem 2/2-Takt der Herren überlagert, verwackelt heillos, es fehlt an funkelnden Details, am leicht zupackenden Ton, an Brillanz. Gerald Finley lässt sich in der Titelpartie als indisponiert ankündigen und kann darum nicht bewertet werden; Simon Keenlyside als Ford beginnt mit etwas rauem Ton, gewinnt aber im Laufe des Abends an Geschmeidigkeit; Elena Stikhina als Fords Gattin Alice verfügt über einen schön timbrierten Sopran, dem es aber ein wenig an Kraft mangelt. Einzig Giulia Semenzato überzeugt mit ihrer silberhellen Stimme als jugendlich frische Nannetta, wobei ihr Bogdan Volkov als Fenton ein verlässlicher Partner ist. Jedoch wirken die Stimmen an diesem Abend insgesamt recht klein. Ist das nach oben völlig offene Bühnenbild daran schuld? Oder verfügen die Sänger wirklich nicht über die Kraft, das Große Festspielhaus zu füllen?
Da gebot die Besetzung in Bohuslav Martinůs „Greek Passion“ in der benachbarten Felsenreitschule am Tag darauf über ganz andere Mittel: Mit sattem Bass gab Gábor Bretz den Priester Grigoris, der in einer kleinen griechischen Gemeinde damit betraut ist, die Rollen für ein Passionsspiel auszugeben. Manolios (Sebastian Kohlhepp mit klarem Tenor) singt nach anfänglichem Zögern schließlich den Jesus, Yannakos, ein Händler, dessen Jünger Petrus (Charles Workman mit sensibler Rollengestaltung). Katerina (Sara Jakubiak), die im Dorf ohnehin einen zweifelhaften Ruf genießt, schlüpft passend in die Rolle der Maria Magdalena. Lenio (Christina Gansch) will endlich ihren Manolios heiraten, doch der ist mit den Proben gut ausgelastet. Dann stören Flüchtlinge die Arbeit. Sie kommen aus einem von den Türken überfallenen Dorf und fordern Hilfe und Schutz, auch Land, um wieder sesshaft zu werden. Es kommt (arg klischeehaft und holzschnittartig), wie es kommen muss: Das Dorf entzweit sich, es gibt Widerstand gegen die Neuankömmlinge, und natürlich tut sich gerade der Priester besonders ungut mit hetzerischen Reden hervor. Manolios hingegen wird seiner Rolle als Jesus gerecht – und dafür letztlich von der Meute erschlagen. Um den Toten in seiner Blutlache gruppieren sich die Trauernden und flehen zu Gott. Betroffenheitskitsch in Vollendung. Simon Stone erzählt die Geschichte auf nackter weißgrauer Bühne mit klaren, einfachen Bildern. Dabei bleibt er eher statisch, so dass die Aufführung, nicht unpassend, ein wenig den Charakter eines Oratoriums bekommt. Der Chor der Wiener Staatsoper singt machtvoll, und die Wiener Philharmoniker spielen unter der Leitung von Maxime Pascal mit Lust und großem Ton. Dennoch hinterlässt der Abend ein schales Gefühl. Martinůs Oper, die auf einem Roman von Nikos Kazantzakis basiert („Christus wird wiedergekreuzigt“), wirkt angesichts wirklicher Flüchtlingskrisen allzu eindimensional. Aber gut inszeniert – und hervorragend musiziert war diese freundlich aufgenommene Premiere. Ein gewisser Trost immerhin in diesem zur Depression geneigten Festspielsommer.