Gut ist nicht genug
Händels „Alcina“ in Hamburg
Hamburg, 13. Februar 2023, Michael Bordt SJ

Marc Minkowski tourt zur Zeit mit seinem Ensemble Les Musiciens du Louvre und einer Schar illustrer Sängerinnen und Sänger durch Europa. Georg Friedrich Händels „Alcina“ hat er im Gepäck. Eine Gesamtaufnahme dieser Oper soll 2024 herauskommen. Bordeaux, Paris, Madrid, Barcelona sind Stationen der Reise, und auch in Hamburgs Elbphilharmonie hatte man die Gelegenheit, seine Interpretation dieser Oper zu hören.

Minkowski pflegt mit einem groß besetzten Orchester einen sehr kraftvollen Zugang zur Musik. Schon die Ouvertüre setzt ausgesprochen energiegeladen ein, das Zusammenspiel der Musiker gelingt perfekt. Allerdings nimmt er mit seinem forschen Zugriff auch einen recht hohen Preis in Kauf: Die Sängerinnen und Sänger werden vom Orchester manchmal regelrecht zugedeckt und treten akustisch in den Hintergrund. In der trockenen Akustik der Elbphilharmonie kommt es immer wieder zu Problemen. Darunter hat besonders Anna Bonitatibus in der Partie des Ruggiero zu leiden. Sie verfügt zwar über einen Mezzosopran mit starkem Kern, aber ihr fehlte es an dem Abend einfach an Volumen, um sich über das Orchester zu erheben. Ihre Bravourarie ‚Sta nell´ Ircana‘ gerät zu brav. Einfacher hatte es da Magdalena Kožená in der Titelpartie. Ihre Stimme ist kraftvoll und gerade die dramatischen Partien gelingen gut. Dennoch hat mich ihre Interpretation nicht immer überzeugt, weil es ihr nicht gelingt, die Entwicklung der Rolle über die sieben Arien hinweg deutlich zu machen. Der Eingangsarie ‚Di‘, cor mio‘ fehlt es an Lieblichkeit, in ihrer stillen Arie ‚Si, son quella‘ fallen die Spannungsbögen immer wieder in sich zusammen, auch weil Minkowski ein extrem schnelles Tempo wählt, und auch ihre große Arie ‚Ah, mio cor‘ überzeugt nur bedingt. Mein Nachbar jedenfalls schaute immer wieder auf die Uhr und meine Nachbarin notierte irgendetwas in einen Notizblock. Irgendwie schien Frau Kožená nicht wirklich bei der Sache zu sein. Vielleicht lag es auch hier wieder an dem Orchester, denn Minkowski drehte die Lautstärke zum Ende des ersten Teils dermaßen auf, dass der Bruch zwischen dem Atem raubendem A-Teil und dem hochdramatischen B-Teil, zwischen der Verzweiflung und dem Aufbäumen, nicht zu hören war. Überhaupt: Die vielen Variationen, die die Solisten bei der Wiederholung des A-Teils gesungen haben, dienten oft nicht wirklich dem Ausdruck der Arie. Es blieb musikalisch vage, was damit ausgedrückt werden sollte.

So war Erin Morley als Morgana für mich die überzeugendste Figur. Ihre Entwicklung vom unbesorgten Girlie hin zur reifen Frau in ihrer letzten großen Arie, die in der Stille und mit dem begleitenden Solocello zum Höhepunkt der Aufführung geriet, war restlos überzeugend und hochmusikalisch. Dass Sie in wenigen Wochen in New York an der MET eine phantastische Pamina singen wird, glaube ich sofort. In der Partie der Bradamante überzeugte Elizabeth DeShong mit wahnwitzigen Koloraturen und warmer, samtener Stimme, Valério Contaldos Tenor klang etwas grob und hölzern, Alois Mühlbacher hat für den Oberto einen klaren, durchschlagenden Counter und Alex Rosen ist als Melisso angemessen besetzt. Der Jubel war groß. Mich hat der Abend nicht überzeugt.