Seitdem Roland Geyer 2006 die Intendanz am Theater an der Wien übernommen und das Opernhaus zu einem der ersten Adressen für Opern des Barock gemacht hat, wurden regelmäßig Werke von Georg Friedrich Händel gespielt. Bereits 2007 wurde einer seiner besten Opern, Giulio Caesare in Egitto, aufgeführt, damals in einer psychologisierenden Regie von Christof Loy und unter der Leitung von René Jacobs. In seiner letzten Spielzeit steht diese Oper nun wieder auf dem Programm. Dieses Mal zeichnete Keith Warner für die Regie und Ivor Bolton für die musikalische Leitung verantwortlich.
Warner verlegt die Handlung in ein verfallenes Kino, bei dem schon der Putz von den Wänden bröckelt. Gespielt wird Caesar und Cleopatra. Während man zu Beginn übergroß in schwarz-weißer Stummfilmmanier die beiden Darsteller in ägyptisch anmutenden Kostümen auf der Leinwand sieht, tummeln sich die Sängerinnen und Sänger der Oper in Alltagsklamotten auf einzelnen Kinosesseln vor der Leinwand. Und dann geht es irgendwie los – man kann es gar nicht anders sagen –, denn eine wirkliche Handlung entwickelt sich auf der Bühne nicht. Der Regisseur erzählt keine Geschichte. Er traut dem Libretto nichts zu. Dennoch passiert auf der Bühne sehr viel: Warner bebildert die einzelnen Arien – und das durchaus gekonnt und zum Vergnügen des Publikums. Da werden in einer Arie schon einmal mehrere Kostüme blitzschnell an- und wieder abgelegt, Federball oder Glückspiele gespielt, es wird jemand gefoltert, es wird versucht, jemanden trickreich zu vergiften, und das ist alles auch höchst unterhaltsam gemacht. Es kommt Warner darauf an, den Charakter und den Inhalt der Arie bildreich und kurzweilig auszudrücken, ohne dass dadurch eine stringente Erzählung entsteht oder die Charaktere auf der Bühne eine Entwicklung durchmachen. Als wollte er unbedingt vermeiden, dass Langeweile aufkommen könnte. Wobei: Nach der Pause gehen ihm da offenbar die Ideen aus. Dafür setzt sich etwas unmotiviert auf einmal die Drehbühne in Gang und gibt verschiedene Perspektiven auf die Bühne frei. Auch das scheint eher eine Verbeugung vor dem Publikum, das Abwechslung will, denn eine stringente dramaturgische Idee zu sein.
Dass die Aufführung dennoch nicht einfach in Einzelteile zerfällt, liegt an der Musik, vor allem an Ivor Bolton mit dem phantastisch disponierten Concerto Musicus Wien. Bolton und das Orchester schaffen einen knackigen, transparenten, dramatischen Klang, der aber auch, wenn es angesagt ist, vor großen ruhigen Momenten nicht zurückscheut. Vor allem gelingt es der Musik, einen großen Bogen in der Oper zu spannen und die Geschichte viel subtiler zu erzählen, als es die Regie vermag.
Das liegt freilich auch an einem sehr guten Ensemble. An erster Stelle ist Bejun Mehta in der Titelpartie zu nennen. Seine Stimme ist über die Jahre etwas schwerer geworden und vielleicht auch nicht mehr ganz so geschmeidig, aber als Meister der Differenzierungen, der in einer einzigen musikalischen Phrase Stimmungsumbrüche zum Ausdruck bringen kann, ist er unerreicht. Louise Alter als Cleopatra kann stimmlich da nicht ganz mithalten. Ihrem schönen und technisch sicher geführten Sopran fehlt es dafür an Wärme und auch an letzter dynamischer Kontrolle, so dass es gerade in den getrageneren Arien wie ‚V´adoro pupille‘ oder ‚Piangero‘ immer wieder zu Spannungseinbrüchen kommt. Vielleicht ist ihre Stimme auch einfach etwas zu schwer, zu dramatisch für die barocke Partie. Dafür ist sie eine grandiose Schauspielerin und schmeichelt sich in die Herzen des Wiener Publikums. Jake Arditti als Sesto bleibt etwas eindimensional, was auch der Partie geschuldet sein mag, aber mehr Farben könnte sein heller Counter gut vertragen. Christophe Dumaux, der schon 2007 als Tolomeo auf der Bühne stand, erfüllt die Rolle des schleimigen Unsympathen mit seinem leicht metallischem Countertenor bestens. Patricia Bardon hat sich als indisponiert ankündigen lassen, und es ist ihr zu danken, dass sie überhaupt aufgetreten ist. Wer sich selbst ein Bild machen möchte: Am 2. April 2022 wird die Oper in 3SAT um 20.15 Uhr gezeigt. Großer Applaus.