Nein, in diesem düsteren, freudlosen, hässlichen Ort, an dem die Zauberin Alcina herrscht, möchte niemand leben. Einem Ort ohne jeden Charme, manchmal vermüllt, in der die Menschen einsam, beziehungslos nebeneinander her leben. Kaspar Glarner hat für die Händeloper, die in Frankfurt Premiere hatte, bewegliche Wände eines klassizistischen großes Saals gebaut, die aber nicht hell, sondern dunkelgrau sind und eine erdrückende Stimmung erzeugen. Bibi Abel steuert beeindruckende Videoinstallationen bei, die den bedrückenden Charakter des Ortes noch unterstreichen.
Was das alles mit Georg Friedrich Händel und seiner Oper zu tun hat, hat sich mir nicht wirklich erschlossen. Auch ein längeres Interview mit dem Bühnenbildner und dem Regisseur der Produktion, Johannes Erath, im Programmheft hilft nicht viel weiter. Erath zeigt die Tristesse hinter dem vermeintlichen ‚Zauber‘ der Insel, die Einsamkeit im Haschen nach dem Glück. Clowns und Zirkuspersonal, das die Bühne zunehmend bevölkert, sind Bilder der Traurigkeit und Einsamkeit hinter der fröhlichen Maske. Das mag ein interessanter Regieansatz sein, aber dabei entstehen keinerlei plausiblen Handlungsstränge. Die inneren Entwicklungen der Protagonisten spielen sich nur in der Musik, nicht auf der Bühne ab. Aber davon lebt die Oper doch! Freilich gelingen Erath auch eindringliche Einzelszenen, vor allem gegen Ende der Oper. So etwa, wenn Morgana ihre stille Arie ‚Credete al mio dolore‘ vor dem Hintergrund der dunklen Bühne einsam in der Verkleidung eines Clowns auf einer Schaukel singt. Oder wenn die Oper damit endet, dass Alcina, sterbend auf einem Stuhl sitzend, noch einmal ohne Orchesterbegleitung völlig erschöpft den Beginn ihrer großen Arie ‚Ah, mio cor!‘ über dem Klang eines klopfenden Herzens singt, das über dröhnende Lautsprecher eingespielt wird.
Musikalisch hat mir die Produktion viel besser gefallen. Alle Sängerinnen und Sänger haben ihr Rollendebüt in Frankfurt, und sie machen das großartig. Monika Buczkowska-Ward singt die Titelpartie. Sie hat einen vollen, durchaus dramatischen Sopran, der aber flexibel genug für die anspruchsvollen Koloraturen ist. Ihr gelingt es, über ihre vielen Arien hinweg den Weg von der sorglosen, verliebten jungen zur reifen, leidenden Frau auszudrücken. Etwas problematischer ist das Debüt von Elmar Hauser als Ruggiero. Der junge Countertenor hat eine ausnehmend feine, klare Stimme, der man aber mehr Farben wünschen würde. Auch die Schlagkraft, die man zumindest für Teile der Rolle braucht, fehlt ihr noch. Shelén Hughes als Morgana hat einen nur ganz zu Beginn noch etwas scharfen Sopran. Sowohl die anspruchsvollen Koloraturen als auch der schmerzhafte Ausdruck ihrer Schlussarie gelingen ihr bravourös. Katharina Magiera singt eine ausdrucksstarke Bradamante, die Tiefe sitzt, das Koloraturfeuerwerk ist beeindruckend, und auch der schlanke Tenor von Michael Porter als Oronte hat mir gut gefallen.
Der durchweg positive musikalische Eindruck wird nur durch die Dirigentin Julia Jones ein wenig getrübt. Sie lässt mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester die vielen ruhigen, stillen Arien angemessen innig begleiten. Leider kann sie mit den energiereichen, kraftvollen Teilen der Partitur nicht so viel anfangen. Die von Händel als großartige, Applaus fordernde Bravourarie der Morgana am Ende des ersten Aktes komponierte ‚Tornami a vagheggar‘ gerät bei ihr zu betulich und kann ihren ‚drive‘ nicht entfalten, Ruggeros großes ‚Sta nel ircana‘ bleibt trotz der auftrumpfenden Hörner harmlos – vielleicht auch aus Rücksicht auf die stimmlichen Einschränkungen des Sängers. Der ‚Beat‘, den diese und andere Stücke eigentlich erfordern, damit sie einen mitreißen können, ist ihre Sache nicht. Viel Applaus und nur ganz vereinzelte Buhrufe für das Regieteam und die Dirigentin.