John Neumeiers „Kameliendame“ am Bayerischen Staatsballett
John Neumeiers „Kameliendame“ beim Bayerischen Staatsballett mit zwei Rollendebuts
München, 17. September 2020, Christian Gohlke
Bestimmt gehört John Neumeiers „Kameliendame“ zu den großen Ballett-Kreationen des letzten Jahrhunderts. Nicht umsonst ist die Choreographie seit ihrer Uraufführung in Stuttgart 1978 inzwischen so etwas wie ein Klassiker geworden. In München steht das auf einem Roman von Alexandre Dumas basierende Drama um die Kurtisane Marguerite und deren Liebhaber Armand seit 1997 auf dem Spielplan des Bayerischen Staatsballetts.

Am Mittwoch, dem 5. Februar, wurde es mit der bereits 106. Vorstellung in dieser Saison wiederaufgenommen. Fünf Aufführungen sind in dieser Spielzeit zu sehen. Alle werden von Michael Schmidtsdorff am Pult des klangschönen und engagiert musizierenden Staatsorchesters bestritten. Dmitry Mayboroda wurde als Pianist bei der Wiederaufnahme für sein differenziertes, ungewöhnlich delikates Spiel zurecht gefeiert, wobei nicht genug bewundert werden kann, wie ungemein sensibel Neumeier Chopins Klangsprache choreographisch umzusetzen wusste.

Auch Jürgen Roses schlicht elegante Bühne und seine herrlichen, detailreichen Kostüme sind noch immer eine Augenweide und so frisch, dass ihnen auch nach vierzig Jahren keinerlei Patina anhaftet. Die Tiefe von Neumeiers Choreographie erweist sich nun nicht zuletzt darin, dass man als Zuschauer immer wieder neue Facetten und Schönheiten entdecken kann. Hatte man in der letzten Spielzeit das Glück, zwei Gäste aus Hamburg in den Hauptrollen zu erleben (Edvin Revazov und Anna Laudere), so kann man in dieser Spielzeit die „Kameliendame“ erstmals mit Tänzern aus der Compagnie erleben, die Igor Zelensky in den letzten Jahren aufgebaut hat. Der Eindruck, den diese erste sozusagen hauseigene Kameliendame hinterließ, war indes ambivalent.

Bewundernswert ist die Genauigkeit, mit der die großen Ensemble- und Ballszenen, etwa die Grande Polonaise im 3. Akt, ausgeführt werden. Auch die kleineren Partien sind gut besetzt. Henry Grey und Kristina Lind zum Beispiel überzeugen als Des Grieux und Manon durch Eleganz und Präzision. Problematisch ist hingegen die Besetzung der beiden Hauptrollen mit den beiden Debütanten Emilio Pavan (Armand) und Virna Toppi (Marguerite) – nicht so sehr, weil sie diesen sehr anspruchsvollen Partien technisch nicht gewachsen wären, sondern vor allem, weil sie das im Stück angelegte Kräfteverhältnis der Figuren nicht recht zum Ausdruck bringen. Marguerite müsste doch diejenige sein, von der in dieser Beziehung alles abhängt. Sie ist die Umworbene, er der Werbende. Sie entscheidet, er nimmt hin. Sie führt, er folgt. Dafür fehlt es der noch ganz jugendlich wirkenden Virna Toppi allerdings an Ausstrahlung. Dass die Männer ihr dutzendfach zu Füßen liegen, ist bei ihrer sozusagen noch ganz backfischhaften Anmutung einfach nicht glaubhaft. Spöttische Überheblichkeit, Koketterie, Hingabe, Sehnsucht, Furcht, Verzweiflung – der Gefühlsreichtum dieser Figur verlangt nach einer Tänzerin mit großen Ausdrucksmöglichkeiten. Toppis Marguerite bleibt leider etwas blass. Wirkt sie zu unbekümmert jugendlich, so fehlt dem Armand, den Emilio Pavan tanzt, andererseits gerade etwas von diesem jugendlichen Überschwang. Der Tänzer meistert seinen Part mehr als nur respektabel, aber der rechte Typ für diese Rolle ist er im Grunde nicht.

Allerdings war der gestrige Abend das Debut beider Tänzer. Mag sein, dass sie im Laufe der Vorstellungsreihe noch mehr in ihre Rollen hineinwachsen. Ihnen und den Zuschauern ist es gleichermaßen zu wünschen. Unverändert: Allerdings war der gestrige Abend das Debut beider Tänzer. Mag sein, dass sie im Laufe der Vorstellungsreihe noch mehr in ihre Rollen hineinwachsen. Ihnen und den Zuschauern ist es gleichermaßen zu wünschen.