Kleists „Amphitryon“ am Residenz Theater München
Das Residenztheater in München zeigt Heinrich von Kleists „Amphitryon“ in der enttäuschenden Inszenierung Julia Hölscher
München, 9. Dezember 2019, Christian Gohlke
Seit dieser Spielzeit ist Andreas Beck als Nachfolger Martin Kušejs Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels. Von seiner alten Wirkungsstätte in Basel brachte Beck etliche Inszenierungen mit nach München, so zum Beispiel Heinrich von Kleists Lustspiel „Amphitryon“ in der Inszenierung von Julia Hölscher, das an 21. November 2019 im Residenztheater Premiere hatte.

Das Positive vorweg: Obwohl Julia Hölscher Kleists Text um gut ein Drittel, also wohl um die 1000 Verse, gekürzt hat, bleiben in ihrer Inszenierung der Gang der Handlung, die Anlage der Konflikte und die charakterlichen Konturen der dramatis personae immerhin erkennbar. Auch ließ sich die Regisseurin nicht dazu verleiten, das Drama mit fremden Texten oder Videosequenzen zu durchmischen. Was Hölscher bietet, ist reines Literaturtheater. Wer von einer Inszenierung vor allem die Verlebendigung des geschriebenen Wortes durch Schauspieler erwartet, wird diesen Ansatz sicherlich begrüßen. Auch das ganz reduzierte Bühnenbild von Paul Zoller ist durchaus zweckdienlich: Auf der Drehbühne stehen in geringem Abstand zwei parallele, rostrot gestrichene Wände, die sich in der Mitte überlappen, so dass sich die Möglichkeit ergibt, die Trennung von vorne und hinten zu überwinden. Die Bühne gerät ins Rotieren, wenn bei Kleist die Sphären durcheinandergeraten und die Figuren darum nicht mehr wissen, wie ihnen geschieht, wobei ein riesenhafter Spiegel über der Spielfläche bald die Zuschauer, bald die Schauspieler reflektiert und so die Handlung verdoppelt. Zollers kluges Bühnenbild hätte durchaus den Raum für einen spannenden Theaterabend abgeben können. Doch leider ist dieser „Amphitryon“ eine Enttäuschung. Warum?

Julia Hölscher mag das Thema des Rollentauschs, das in Kleists Komödie zentral ist, bei der Frage nach der Besetzung des Stückes fortgesponnen haben. Welcher Schauspieler bei ihr mit welcher Rolle betraut wurde, wirkt, vornehm ausgedrückt, kontraintuitiv. Sollte man leichter von Fehlbesetzungen sprechen? Da spielt die zierliche Luana Velis im eleganten Abendkleid nicht etwa die Fürstin Alkmene, sondern deren derbe Dienerin Charis, eine Rolle, die besser zur kernigen und denkbar ungrazilen Pia Händler gepasst hätte, die nun in sandfarbenen Lederstiefeln und nicht eben figurschmeichelndem Outfit (wann hat man je so hässliche Kostüme gesehen wie die von Janina Brinkmann?) wie eine Betrunkene über die Bühne stakst und wirkt, als wäre sie als Obdachlose just unter einer Brücke hervorgekrochen. Christoph Franken steht ihr darin als Jupiter mit fettigem Haar und unförmiger Gestalt in nichts nach. Der Göttervater erscheint hier genau wie die Fürstentochter der Gosse zu entstammen.

Die Frage, welchen interpretatorischen Mehrwert diese Hässlichkeit haben soll, ließe man achselzuckend auf sich beruhen, – wenn nur Christoph Franken und Pia Händler über eine sprachliche Nuancierungskunst verfügten, die ihre inneren Konflikte beglaubigten. Was bei Kleist zwischen diesen beiden Figuren zur Sprache kommt, berührt heikelste und zarteste Punkte, für die der Autor Bilder findet, die nicht ihresgleichen haben in der Welt. Es fällt einigermaßen schwer, den grobschlächtigen Figuren, die Hölscher auf die Bühne wuchtet, ein so feingliedriges Innenleben zuzutrauen, zumal die Klaviatur von Ausdrucksmöglichkeiten, über die beide Schauspieler verfügen, begrenzt ist. Das gilt auch für Florian von Manteuffel, der über zu wenige Farben in der Stimme verfügt als dass es ihm möglich wäre, die wachsende Verwirrung, die Wut und schließlich die Verzweiflung des Feldherrn auszudrücken, der im Bewusstsein eines großen Siegs heimkehrt zu seiner Alkmene, aber dann von Jupiter um „Weib, Ehre, Herrschaft, Namen“ gebracht und damit gleichsam „entamphitryonisiert“ wird. So formuliert es sein spitzbübischer Diener Sosias, der seinerseits von Merkur „entsosiatisiert“ wurde und einsehen muss, dass sein anderes Selbst die „ganze Portion Sosias“ ist, die man „auf dieser Erde brauchen kann.“ Nicola Mastroberardino gelingt es am ehesten, seiner Rolle glaubhafte Konturen zu verleihen. Doch seine großen Eingangsszenen (Monolog und Auseinandersetzung mit Merkur, bei Kleist immerhin knapp 400 Verse umfassend) sind nun doch so stark gekürzt, dass der Zuschauer die wachsende Verunsicherung, die in einer Art der Selbstaufgabe gipfelt, kaum mehr nachvollziehen kann.

Dass in München Kleists abgründige Komödie auf der Bühne zu sehen war, liegt etliche Jahre zurück. Und doch werden sich viele Theaterbesucher noch an Dieter Dorns Inszenierung erinnern, die zunächst in den Kammerspielen und dann am Residenztheater gezeigt wurde. Sie war im Ansatz (Literaturtheater) nicht grundverschieden von dem, was Hölscher macht. Aber sie war– man muss es deutlich sagen – auch dank eines erstklassigen Ensembles sehr viel genauer, liebevoller und tiefsinniger, kurz: besser. Wer je Lambert Hamel, Michael Maertens, Sybille Canonica und Jens Harzer in Dorns großartiger Inszenierung erlebt hat, kann um Vergleiche kaum umhin, wie sie Alkmene selbst anstellt, als ihr die beiden Amphitryonen am Ende gegenüberstehen und sie den „Prachtwuchs“ der „königlichen Glieder“ des einen leicht vom „feilen Bau gemeiner Knechte“ unterscheidet, die den anderen kennzeichnet. Das Bessere ist eben auch hier der Feind des Guten.