Korngolds „Die tote Stadt“ an der Bayerischen Staatsoper
Korngolds „Tote Stadt“ in der banalen Inszenierung von Simon Stone an der Bayerischen Staatsoper
München, 11. Dezember 2019, Christian Gohlke
Es ist eine düstere Geschichte, die Erich Wolfgang Korngold in seiner ersten Oper „Die tote Stadt“ (uraufgeführt im Jahre 1920) erzählt. Ein wenig erinnert sie an Gerhart Hauptmanns „Bahnwärter Thiel“: Paul hat seine Frau Marie verloren und betreibt eine Art von Totenkult um die Verstorbene. Als er die lebenslustige Tänzerin Marietta trifft, die seiner verstorbenen Frau äußerlich ähnelt, schwankt er zwischen der toten Marie und der höchst lebendigen Marietta hin und her. Deren erotischen Reizen kann er sich nicht entziehen, und Marietta verlangt von Paul schließlich, sich ganz für sie zu entscheiden. Es kommt zum Streit. Im Zorn tötet der Rasende die Tänzerin. Doch dann stellt sich heraus, dass die ganze Handlung nichts als eine schlimme Phantasie, ein böser Traum war, und Paul folgt dem Rat eines Freundes und verlässt nicht nur die „Kirche des Gewesenen“, wie er das Gedenkzimmer in seinem eigenen Hause nennt, sondern gleich auch die ganze „tote Stadt“.

Die Inszenierung von Simon Stone – sie hatte am 18. November Premiere – krankt vor allem daran, dass sie überhaupt keine Bilder findet, um die beiden Wirklichkeitsebenen dieser Oper auseinanderzuhalten. Irgendwie müsste dem Zuschauer das Alptraumhafte, ja Psychotische von Pauls Phantasien vermittelt werden. Doch Simon Stones Regiestil unterscheidet nicht zwischen realistischer Rahmen- und traumhafter Binnenhandlung. Bei ihm bleibt alles platt realistisch und plump heutig. Ralph Myers (Bühne) und Mel Page (Kostüme) siedeln die Geschichte in unserer Gegenwart an, wobei die weißen Kuben, die sich im 2. Bild übereinanderstapeln, Einblick in verschiedene Wohnräume bieten, die manchmal gleichzeitig bespielt werden. Doch was hilft diese Multiperspektivität? Ist es wirklich erhellend, gleichzeitig zu sehen, wie oben links geduscht und unten rechts Tee gekocht wird?

Am ehesten überzeugen in dieser Inszenierung die Szenen, in denen die Beziehung der Protagonisten zueinander ausgeleuchtet werden, vor allem die Sequenzen im dritten Bild mit der Auseinandersetzung zwischen Paul und Marietta. Marlis Petersen glänzt dabei schauspielerisch in der großen, anspruchsvollen Doppelrolle Marie/Marietta.

Sie agiert mit solcher Spielfreude und solcher Energie, dass man ihr die lebenslustige, hoch temperamentvolle Tänzerin in jedem Moment glaubt. Auch passt die helle, klare, vielleicht nicht besonders farbenreiche Stimme perfekt zu dieser Partie, und so ist es kein Wunder, dass sie am Ende des Abends vom Publikum am meisten gefeiert wurde – mehr noch sogar als Jonas Kaufmann, der die enorm fordernde Rolle des Paul übernommen hatte. Darstellerisch überzeugt Jonas Kaufmann in dieser Partie, weil er die Schwermut dieser gebrochenen Figur ebenso darstellen kann wie ihren aufflammenden Hass gegenüber der frechen Merietta, die sich erdreistet, seinen ‚Marienkult‘ ins Lächerliche zu ziehen. Aber man hört ihm (ähnlich wie auch seinem „Otello“ in der vergangenen Spielzeit) an, wie kraftzehrend diese Rolle ist. Seine Stimme klingt in den Höhen häufig gepresst und gaumig in der Mittellage; für eine differenzierte Gestaltung der berühmten Schluss-Arie „Glück, das mir verblieb“ fehlt es dann an Reserven.

Getragen werden die beiden Protagonisten sowie ein sehr gutes Ensemble (herausragend Jennifer Johnston als kraftvolle Brigitta) von Kirill Petrenko und dem Bayerischen Staatsorchester, das mit großer Präzision und Flexibilität agiert. Petrenko dämpft das Schwelgerisch-Schwülstige dieser spätromantischen Partitur (bei der Uraufführung war der Komponist gerade einmal 23 Jahre alt), bringt sie aber in den operettenhaften Passagen nicht um ihren Schmelz. Und so ist der Spielplan der Bayerischen Staatsoper um eine weitere Rarität bereichert. Es ist nicht die letzte, die in dieser Saison gezeigt wird: Schon am 21. Dezember wird Hans Abrahamsens Oper „The snow queen“ im Nationaltheater uraufgeführt. Experimentierfreude immerhin wird man der Staatsoper nicht absprechen dürfen.