Es ist eine ungewöhnlich karge, strenge Inszenierung, die Barrie Kosky, sonst doch eher für Opulenz und Klamauk bekannt, sich für Leoš Janáčeks Oper „Káťa Kabanová“ (1921) hat einfallen lassen. Die riesige Bühne der Felsenreitschule, deren steinerne Arkaden an diesem Abend wie zugemauert erscheinen, ist, als der Vorhang sich zum ersten Akt öffnet, von einer Menschenwand eingenommen, die mit dem Rücken zum Publikum steht: Starr, abweisend, unbewegt. Es dauert einen Moment, bis man als Zuschauer bemerkt, dass es sich hier zum großen Teil um Puppen handelt, die alle unterschiedlich bekleidet sind. Noch ehe die formidablen Wiener Philharmoniker die ersten melancholisch verhangenen Streicherklänge ertönen lassen, erklingt als scharfer Kontrast zur unbewegt winterlichen Menschenmasse frühlingshaftes Vogelgezwitscher. Zwang versus Freiheit. Gesellschaft versus Natur. Ein starker Einstieg.
Kosky arbeitet bei dieser Inszenierung mit sparsamen Mitteln. Eine Kulisse gibt es nicht; lediglich die Menschenpuppen werden immer wieder neu formiert, so dass sich unterschiedliche Spielflächen ergeben, wobei die Sänger sich zu ihren Auftritten aus diesem Kollektiv der Masse lösen und dann wieder darin aufgehen. Sie sind als Einzelwesen eben doch Teil einer Gemeinschaft, die ihre Werte, Ideale und Anschauungen bestimmt. Dabei lassen die Kostüme, die Victoria Behr entworfen hat, an die späten 1980er Jahre im Ostblock Europas denken, wodurch, zumindest im Falle Polens, die religiöse Grundierung des Stoffes noch einigermaßen plausibel erscheint. Stimmiger (und mutiger) wäre es freilich gewesen, die Handlung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anzusiedeln, wie Janáček es vorsah.
Im Städtchen Kalinow an der Wolga lebt Káťa in einer kalten Ehe mit Tichon, der eher dem Alkohol als seiner Frau zugetan ist und zudem unter der Fuchtel seiner herrschsüchtigen Mutter Marfa steht. Als Tichon sich auf Geschäftsreise befindet, gibt Káťa ihrer Liebe zu Boris nach. Sie gesteht später ihren Fehltritt, wird von der Gemeinschaft dafür geächtet und ertränkt sich schließlich in der Wolga.
Mit genauen Gesten erzählt Kosky diese ein wenig an Tschechow erinnernde Geschichte als intimes Kammerspiel. Dabei kommt ihm zugute, dass alle Rollen mit typgerechten Sängern besetzt sind, die auch schauspielerisch überzeugen. Evelyn Herlitzius zum Beispiel glänzt in der Partie der Marfa mit ihrem machtvollen Mezzo, der so wenig Widerspruch duldet wie der Stock, den sie bestimmend auf den Boden rammt, um ihren Anweisungen Nachdruck zu verleihen. Jaroslav Březina gibt ihren armseligen und zugleich bemitleidenswerten Sohn Tichon mit charaktervollem Tenor als Schwächling mit von Zeit zu Zeit sich eruptiv entladender Wut. Unter beiden, Mutter wie Tochter, leidet Corinne Winters in der Titelpartie unsäglich. Sie flieht in die Erinnerungen an eine schönere Vergangenheit, von der sie ihrer Freundin Varvara (Jarmila Balážová) mit wunderbar warm aufblühendem Sopran berichtet, getragen von Janáčeks zart einschmeichelnder Orchesterbegleitung, die Jakob Hrůša am Pult der Philharmoniker farbenreich und klangsinnlich zu entfalten weiß: „Ich lebte ohne jeden Wunsch, frei wie ein Vogel!“ In solchen Momenten hätte man sich von der Regie dann doch ein wenig Abwechslung erhofft. Hier bleiben Koskys Bilder allzu gleichförmig und starr. Auch wenn Káťa sich im sommerlichen Garten endlich ihrem Schwarm Boris hingibt, den David Butt Philip mit eher dunkel grundiertem, in der Höhe aber strahlendem Tenor singt, ändert sich an der Szenerie kaum etwas. Umso intensiver gerät das Spiel der beiden Protagonisten. Ein Gewitter leitet akustisch den dritten und letzten Akt ein. Hier hat Corinne Winters ihren finalen großen Auftritt, wenn sie sich ein letztes Mal mit Boris trifft, um dann durch eine quadratische Öffnung im Bühnenboden für immer zu verschwinden: „Vöglein werden an das Grab kommen, ihre Jungen mitbringen, und Blümlein werden blühen, kleine rote und blaue und gelbe“. Die Menge, die alsbald herbeieilt, ist so entsetzt wie das Publikum ergriffen von Káťas Schicksal. Nur die Marfa bewahrt eisig ihre Fassung: „ich danke euch, ihr guten Leute, für eure Hilfsbereitschaft!“ Ein starker und kurzweiliger, auch in den Nebenrollen gut besetzter Opernabend, karg und streng, aber stimmig in Szene gesetzt. Heftiger Applaus in der Felsenreitschule.