Beinamen hat man der fünften Symphonie von Anton Bruckner in B-Dur etliche gegeben: Mal wurde sie die „Tragische“, mal die „Katholische“, mal die „Glaubenssinfonie“ genannt, aber gehalten hat sich bezeichnenderweise keiner dieser Titel. Sicher, als Bruckner sich im Frühjahr 1875 an die Arbeit machte, ging es ihm nicht gut. Der Verlust einer sicheren Stelle an der Musikschule St. Anna in Wien stürzte den Komponisten in eine tiefe Depression. Die Briefe dieser Zeit sprechen eine deutliche Sprache. Sein unter solchen Umständen entstandenes Werk wurde denn auch lange Zeit biographisch gelesen: Das „ganze Martyrium der tiefen Einsamkeit des verlassenen Genies“ finde sich darin (Göllerich). Bruckner selbst ging soweit nicht und nannte die Fünften ganz einfach sein „kontrapunktisches Meisterstück“ – sehr zurecht, denn tatsächlich stellt sie im Hinblick auf kunstvolle polyphone Gestaltung unter den symphonischen Werken Bruckners einen Gipfelpunkt dar.
Einen bestechend analytischen Zugriff, der vor allem den kompositionstechnischen Finessen nachspürt, auf idealisierende Überhöhungen und emotionalen Überdruck aber verzichtet, kennzeichnete Kirill Petrenkos Interpretation zur Eröffnung der neuen Saison der Berliner Philharmoniker. Sicher, man könnte sich im polyrhythmischen Beginn des Adagio die Melodie der Oboe überm Pizzikato der Streicher klagender und schmerzlicher vorstellen; man könnte sich beim Streicherchoral, der daraufhin folgt, mehr Schmelz wünschen, und die Flöte, die den Satz beschließt, klingt in anderen Interpretationen jenseitiger, überirdischer und wohl auch berührender. Aber: Die Präzision, mit der Petrenko diese Partitur ausleuchtet, ist phänomenal. Jede Stimme und Nebenstimme kommt hier zu ihrem Recht, die klaffenden und lange gehaltenen Generalpausen wirken wie mit den Skalpell geschnitten. Nichts bleibt pauschal, alles leuchtet in sprechenden Details mit feinsten dynamischen und klanglichen Abstufungen. Die Tempi sind flexibel, aber eher flott, auch wenn die Einleitung zum Kopfsatz ganz verhalten und leise beginnt. Keck und spielerisch erklingt das Trio im Scherzo, schroff und mit harschen rhythmischen Akzenten setzen die Celli zur großen Fuge im Finalsatz an, den Petrenko stringent zur Apotheose mit ihren leuchtenden Blechbläsern führt. Kühn und kompromisslos, manchmal auch etwas kühl klingt Petrenkos kristallklarer Bruckner. Man muss das nicht mögen – als Leistung indes und als lohnende Interpretation aber unbedingt anerkennen.