Herrlich, wie dieser Bayreuther „Lohengrin“ bei seiner Wiederaufnahme musiziert wird! Da ist ein Festspielchor, der in der Einstudierung von Eberhard Friedrich wunderbar gerundet und homogen singt, kraftvoll, aber nie derb auftrumpfend. Da gibt Derek Welton einen profunden Heerrufer mit mächtiger Basses-Schwärze. Da ist Georg Zeppenfeld als König Heinrich mit einer beispielhaft klaren Diktion und Intonation, der seine Gesangslinien immer völlig natürlich vom Text ausgehend entwickelt. Und da sind natürlich Klaus Florian Vogt und Camilla Nylund als Lohengrin und Elsa. Vogts sehr heller, aber kraftvoller Tenor, der sich mühelos gegenüber dem Orchester zu behaupten weiß, passt in seiner fast kindlich anmutenden Reinheit und jugendlichen Flexibilität bestens zur Gestalt des Schwanenritters. Auch bei ihm ist jedes Wort verständlich, und wie es ihm gelingt, gerade die leisen und zarten Passagen zum Beispiel in der Gralserzählung zu formen, verdient jede Hochachtung. Dramatischer und rauer im Timbre ist der Sopran Camilla Nylunds, der es gleichwohl gelingt, die lyrischen Passagen zart aufblühen zu lassen. Anrührend und innig weiß sie die beiden großen Solo-Auftritte „Einsam in trüben Tagen“ und „Euch Lüften, die mein Klagen / So traurig oft erfüllt“ zu gestalten. Nicht ganz auf dem Niveau des Heldenpaares sind die beiden Bösewichte Ortrud und Telramund. Martin Gantner, auch er vorbildlich textverständlich, klingt als Telramund mit seinem eher hoch timbrierten Bariton bisweilen etwas forciert, und Petra Lang ist zwar eine äußerst kraft- und glutvolle Ortrud, die ihre Auftritte mit Furor auflädt, aber ihre Intonation ist gerade zu Beginn des zweiten Aufzuges im Austausch mit Telramund unsicher.
Geführt, ja getragen wurde dieses sehr gute Sänger-Ensemble von Christian Thielemann, der wie kein zweiter mit dieser Oper und mit der Akustik des Festspielhauses vertraut ist. Routiniert ist sein Dirigat darum in keinem Moment. Im Gegenteil: So lustvoll und frisch, so voller Farben und dynamischen Schattierungen hört man diese Partitur selten oder nie. Da sind enormer Schwung und Musizierlust (zum Beispiel im Vorspiel zum 3. Aufzug), düster-dräuende Wucht zwischen Telramund und Ortrud und immer wieder eine wundersame, schwerelose Zartheit am Rande der Vernehmbarkeit, manchmal auch verhangene Traurigkeit wie bei Lohengrins Abschied. Wie Thielemann große Steigerungen anzulegen weiß (zum Beispiel im zweiten Aufzug beim Gang zum Münster), ist schlichtweg atemberaubend. Zurecht wurden er und das hellwach aufspielende Festspielorchester am Ende stürmisch gefeiert.
Und immerhin: Die Inszenierung von Yuval Sharon, die 2018 Premiere feierte, stört diesen musikalischen Genuss kaum, steigert ihn atmosphärisch in den besten Momenten sogar. Neue Einsichten bietet sie nicht, aber solides, manchmal ein wenig putzig anzusehendes Handwerk, vor allem in den arg herkömmlichen, standardisierten Gesten, mit denen der Chor hantiert, um Verwunderung, Entsetzen oder Freude auszudrücken. Im Grunde verteilt Sharon die Figuren und Chöre mehr oder minder dekorativ auf der blauen Bühne von Neo Rauch und Rosa Loy. Die ist mit ihrer Kulissenmalerei wirklich schön anzusehen, besonders die Zwischenvorhänge mit dunklen Gewitterwolken, aufgewühlten Seelandschaften und windgepeitschten Bäumen gefallen. Die Strom-Metaphorik, deretwegen immer einmal wieder Umspannhäuschen, Trafos und Strommasten auf der Bühne stehen, bleibt hingegen allzu vage und bringt darum keinen Gewinn. Wenn Lohengrin und Elsa sich zu Beginn des dritten Aufzugs im Brautgemach treffen („Wir sind allein, zum ersten Mal allein“) und der Regisseur ein Paar zeigt, das wenig romantisch, sondern gleich zu Beginn recht distanziert miteinander umgeht und Lohengrin seiner Braut schließlich sogar Fesseln anlegt, um sie von der verbotenen Frage abzuhalten, so kontrastiert diese Personenführung merkwürdig mit der Farbgebung, suggeriert das kraftvolle Orange des Innenraums mit seinem überdimensionierten Umspannwerk vor dem Ehebett doch gerade Energie und erotische Spannung. Warum nach Lohengrins Rückkehr König Heinrich schließlich von einem Stromschlag (?) zu Boden gestreckt wird und warum der junge Gottfried – in Bayreuth politisch korrekt, aber eben falsch nicht als „Führer“, sondern als „Schützer“ von Brabant bezeichnet – als frisch grünes Ampelmännchen auftritt? Vielleicht um einen hoffnungsfrohen Weg in eine Zukunft zu weisen, jenseits der durch wie Mantelschleppen getragenen Insektenflügel angedeuteten Uniformität der Volksgemeinschaft von Brabant? Wenn so schön gesungen und so phantastisch musiziert wird wie hier im Festspielhaus, kann man dergleichen Fragen getrost auf sich beruhen lassen.