Er ist 35 Jahre alt und nicht nur Chefdirigent in Rotterdam, sondern als Nachfolger Zubin Mehtas auch beim Israel Philharmonic Orchestra. 2026 wird er außerdem die Münchner Philharmoniker leiten. Shani gehört damit zu der Handvoll junger Dirigenten, um die alle Welt sich reißt und die in noch ganz jungen Jahren mit einer Überfülle von Ämtern betraut werden. Ob immer zum Segen der Umworbenen, ist freilich eine andere Frage. Ja, mitunter ist nicht einmal so ganz klar, woher der frühe Ruhm nun eigentlich kommt. Das Konzert, mit dem Lahav Shani die neue Saison in München eröffnete, hinterließ jedenfalls nicht den Eindruck, hier einem absoluten dirigentischen Ausnahmetalent zu begegnen.
Dass er der Aufführung von Anton Bruckners Neunter Symphonie das erste Klavierkonzert von Johann Sebastian Bach voranstellte, ließ zunächst einmal aufmerken. Hier will sich ein Künstler also nicht nur als Dirigent vorstellen, sondern zugleich als Pianist – und das auch noch mit einem Werk von Bach! Wer eine solche Ankündigung macht, der muss, so sollte man denken, seiner Sache sicher sein und wirklich etwas zu sagen haben. Groß sind die Vergleiche, die sich hier aufdrängen, heikel die Frage nach einer angemessenen Spielweise. Shani enttäuschte in beidem. Er ließ das klein besetzte Orchester (hier ja ausschließlich Streicher) zwar mit wenig Vibrato und einem zurückhaltenden, offensichtlich an der historischen Aufführungspraxis geschulten Ton musizieren, bevorzugte selbst an seinem deckellosen Steinway allerdings einen satten, im Mittelsatz über Gebühr romantisierenden Ton. Der absichtsvoll magere Klang der Streicher wollte gar nicht zum vollen, ziemlich lauten modernen Klavierton passen, den Shani anschlug. Er bot hier weder Fisch (historisch informierte Aufführung) noch Fleisch, also eine bewusst gestaltete Interpretation auf modernen Instrumenten, sondern eine unbefriedigende Zwischenlösung. Doch weit bedenklicher: sein eigenes Spiel, technisch gekonnt und perlend, blieb weitgehend konturlos und blass, gerade in den solistischen Partien. Eigenartig, dass er sich gerade damit seinem Münchner Publikum präsentieren wollte.
Besser gelang der zweite Teil des Konzertes mit Anton Bruckners Fragment gebliebener Symphonie in d-Moll (die Tonart immerhin verbindet beide Werke des Abends, wenn auch sonst kaum etwas). Dass der Eindruck hier positiver war, lag sicher auch an der großen Bruckner-Erfahrung der Münchner Philharmoniker: Immerhin waren sie es, die 1932 zum ersten Mal die Originalfassung spielten, vorher hatte man stets die von Bruckners Schüler Ferdinand Löwe erstellte Bearbeitung gewählt, der bei aller Bewunderung mildernde Eingriffe vor allem in der Instrumentation für notwendig gehalten hatte. Diese lange Vertrautheit mit dem Werk kam dem Dirigenten nun sicher zugute: Ein samtiger Ton der Streicher harmonierte mit den hervorragenden Holz- und dem glanzvollen Spiel der Blechbläser. So lag denn auch eine Spannung in der Luft während der einleitenden 20 Takte, wenn über einem flirrenden Streichertremolo die Bläser suchend und tastend in der Grundtonart d-Moll die Entstehung des ersten Themas bei nicht allzu langsam gewähltem Thema vorführen. Dann aber hätte man sich einen weit transparenteren Orchesterklang gewünscht, um die komplexe motivische Arbeit des Kopfsatzes nachvollziehen zu können. Es dominierte ein diffuser Mischklang, in dem Einzelheiten kaum hervortreten konnten. Recht schwungvoll geriet das Scherzo, wobei gerade die tiefen Streicher mit Lust am Effekt bei der Sache waren. Das war mitreißend – nahm dem Satz aber auch etwas von seiner motorisch stampfenden Wucht. Auch ließen sich noch feinere dynamische Schattierungen vorstellen. Shani wird aber schon früh sehr laut, so dass für den entsetzlichen Höhepunkt im Adagio, diesem schneidend dissonanten Tredezimen-Akkord, kaum noch eine Steigerung möglich war. Spannungsvoller hätte man sich die klaffende Generalpause gewünscht, ehe der Satz in der Coda zur Ruhe findet. Dass ein Gutteil der Münchner Presse vor dieser Interpretation auf die Knie sank, bleibt unverständlich. Das war eine respektable, aber in keiner Weise herausragende Brucker-Aufführung. Bei Lahav Shani gibt es also, positiv gewendet, durchaus Möglichkeiten der Steigerung in den nächsten Jahrzehnten seines noch jungen Lebens.