„Maria Stuart“ bei den Salzburger Festspielen
Martin Kušej inszeniert bei den Salzburger Festspielen eine knackige Fassung von „Maria Stuart“ in starken Bildern und mit plakativer Aussage
Salzburg, 16. August 2021, Felix Senzenberger

Auf einer Bühne zu stehen bedeutet immer auch, exponiert zu sein. Das verbindet Schauspieler mit Menschen in Machtpositionen. In beiden Fällen ruhen die Augen der Menge auf einem, gilt es, Erwartungen zu erfüllen, Entscheidungen zu treffen – vielleicht auch: jemandem etwas vorzuspielen.

Nicht so für die dreißig nackten Männer, die sich in dieser Inszenierung von Anfang an als buchstäbliche Stützen des Theaterabends präsentieren. Sie stehen – für eine von Männern dominierte Welt, für das Patriarchat. Durch ihre Anzahl und ihre breitbeinige, selbstsichere Präsenz haben sie stets das Potential, die Bühne für sich einzunehmen. Gleichzeitig decken die nackten Körper sich gegenseitig, verdecken ihre Verletzbarkeit. Nie wird ein einzelner herausgepickt und der Menge vorgeführt, wie es etwa bei den zwei Frauen der Fall ist, stets erscheinen sie als homogene Masse. Sie sind während der zwei Stunden und vierzig Minuten beinahe immer anwesend, und dass sie dies tun können, ohne dabei ausgegriffen zu werden, wie es, Überraschung, bei den zwei Frauen der Fall ist, spiegelt das Privileg wider, das Männer nicht nur in der Welt von „Maria Stuart“ besitzen.

Vor diesem ungeschönten, aber wohl ästhetisch ansprechenden Hintergrund entfaltet sich das Königinnendrama, unterbrochen lediglich von kurzen Blenden, während derer die Szenenwechsel stattfinden (Dramaturgie: Alexander Kerlin). Stellenweise wird das Geschehen untermalt von minimalistischer Musik und einem Ticken, das wohl auf die verbleibende Zeit Marias und damit des Stückes hinweist. Annette Murschetz gibt dem Ganzen einen passenden Hintergrund: Wie Gefängnis- oder Burgmauern ragen drei Wände um die Schauspieler*innen auf, gekrönt von Scheinwerfern, unter deren kaltem Licht die Intrigen und Täuschungen wie auf einer zweiten Bühne ihren Lauf nehmen.

Kušej, obgleich nahe an Schillers fünfhebig jambischem Text bleibend, reduziert dabei sowohl die weibliche Besetzung als auch den Inhalt stark: „Maria Stuart“ erzählt die Geschichte von zwei Frauen und von Macht, denn „Macht ist’s, die mich hier hält“, resümiert die Protagonistin (Birgit Minichmayr) mit rauer und trotz langjähriger Haft stets souveräner, aber auch abgehärteter Stimme in ihrem Gefängnis, wo sie von dem noch raueren Amias Paulet (Rainer Galke) wortwörtlich festgehalten wird. Doch auch der insgeheim für den Katholizismus und für Maria Stuart glühende Mortimer (Franz Pätzold) verspricht ihr nur vermeintlich die Freiheit, wenn er bald darauf „ich will dich auch besitzen“ hervorpresst, seine Angebetete bar jeder Liebe umklammernd, nahe der Vergewaltigung.

Männer halten sie, Macht hält sie und ihre Kontrahentin Elisabeth (Bibiana Beglau), die als Königin von England theoretisch allein über das Schicksal Marias entscheidet. Als solche ist sie es auch, die als Einzige das Urteil zur Exekution ihrer Rivalin unterschreiben kann. Praktisch jedoch befindet sie sich dabei ebenso wie Maria in den Händen von Männern und darüber hinaus in einer Art PR-Krise. Sie ist unentschlossen, zögert eine andere Königin hinrichten zu lassen und weiß, dass für sie als Frau andere Maßstäbe gelten. Einerseits fordert das Volk und die Staatsräson, der von ihrem Berater, dem Baron von Burleigh (Norman Hacker) eine Stimme gegeben wird, den Tod Marias. Andererseits läuft sie dadurch Gefahr, als blutrünstig und ungerecht dazustehen, was ihr der Graf von Shrewsbury (Oliver Nägele) mit mahnender, aber für dieses Stück nicht genügend gewaltvoller Stimme klarzumachen versucht. Dem opportunistischen Grafen von Leicester (hart gespielt von Itay Tiran) sind andere Beweggründe als die Aussicht auf eigene Vorteile grundsätzlich fremd. Nuanciert und größtenteils überzeugend entfaltet Bibiana Beglau in dieser Konstellation die hin- und hergerissene Position der Königin, die sich unter den Zwängen, denen sie ausgesetzt ist, verdreht, sich zu Füßen ihrer Berater niederkauert.

Entscheidung bringt erst das persönliche Aufeinandertreffen der beiden Königinnen, das auch den Höhepunkt des Dramas darstellt. Maria und Elisabeth stehen sich allein in einem dunklen Raum gegenüber. Zwischen ihnen nur eine hin- und herschwingende Glühbirne, die einmal das Gesicht der einen, dann wieder das der anderen beleuchtet. Man weiß schon, dass dieser entscheidende Dialog kein gutes Ende nehmen wird, greift das schließlich erlöschende Licht doch ein Motiv aus der Anfangsszene des Stückes wieder auf: Das von der Decke baumelnde und die Bühne mit Blut befleckende Haupt Maria Stuarts. Und tatsächlich kommt es zur Eskalation und zur Demütigung Elisabeths. Die politische Entscheidung der daraus folgenden Hinrichtung scheint dadurch zumindest teilweise aus Affekt und aus Neid auf ihre schöne, von Männern begehrte Rivalin zu erfolgen.

Bezeichnenderweise sind es schließlich auch die nackten Männerkörper, auf denen Elisabeth das Todesurteil Marias unterschreibt. Insofern erscheinen Männer nicht nur in Form der Berater Elisabeths oder des vermeintlichen und scheiternden Befreiungskomitees Marias als (mit)schuldig an ihrem Tod, sondern auch in Form des Patriarchats an sich, das Frauen (nicht zuletzt aufgrund ihres Aussehens) wiederholt in Konkurrenzsituationen bringt und gegeneinander ausspielt. Dass besonders Frauen darunter leiden, ist lange bekannt und scheint trotzdem die Hauptaussage dieser Inszenierung zu sein. Trotz eindrucksvoller, stimmiger Bilder und glänzender schauspielerischer Leistung gelingt es dieser Inszenierung in den seltensten Momenten, den Zuschauer zu rühren.

„Jetzt endlich hab ich Raum auf dieser Erde“, triumphiert Elisabeth, als die Hinrichtung vollzogen ist. Raum zum Atmen, aber auch einen Raum, in dem sie allein zurückbleibt. Da sie nicht die Verantwortung für die Hinrichtung und ihre Folgen übernehmen will, wäscht sie ihre Hände in Unschuld oder eher: Wischt sie an anderen ab. Burleigh, der das Urteil aus den Händen des Staatssekretärs (kurzer Auftritt von Tim Werths) entrissen hat, verbannt sie, zweiterem droht sie mit einer noch härteren Strafe. Shrewsbury tritt als Stimme der Vernunft unter einer solchen Königin zurück, und auch Leicester lässt sich, trotz aller angeblichen Liebe, nicht mehr blicken.

„God save the Queen“ summt die Königin so, von allen Männerseelen verlassen, in die Leere hinein. Was ihr, genau wie Maria, letzten Endes also einzig bleibt, ist ihr Glaube an Gott und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Denn man sollte sich nicht täuschen lassen: Die vermeintlich so stark aufgebauten Männer(körper) sind doch schlechte Stützen. In der von ihnen aufgestellten Welt gewinnt niemand, nicht einmal sie selbst. Schon zu Beginn des Stückes müssen sie künstlich mit Sauerstoffmasken beatmet werden. Bleibt nur zu hoffen, dass dem Patriarchat, der Kurzatmigkeit des Stückes entsprechend, bald die Luft ausgeht und für Frauen ebenso noch Luft nach oben bleibt, an eine ungestörte Spitze.