Mehr als bloße Opern-Routine
Verdis „Traviata“
München., 14. November 2025, Christian Gohlke

Das ist erfreulich mehr als bloße Opernrepertoire-Routine, was man bei der Wiederaufnahme von Günter Krämers „Traviata“-Inszenierung aus dem Jahr 1993 jetzt im Münchner Nationaltheater erleben kann! Ja, eine solche „Traviata“ war an der Bayerischen Staatsoper lange nicht zu hören – auch die kleinen Partien waren sehr gut besetzt. Zum Beispiel ließ Daniel Venning, seit dieser Spielzeit Mitglied im Opernstudio, in der winzigen Rolle des Gärtners mit seiner kraftvollen und warmen Stimme aufhorchen. Das gilt auch für Natalie Lewis als Annina oder für Meg Brilleslyper als Flora.

Aber natürlich lebt ein solcher Abend zuerst und zuletzt von der Besetzung der drei großen Partien. Granit Musliu fehlte es in der Partie des Alfredo zunächst an Leidenschaft, zumal sein Tenor belegt und etwas gaumig klang. Dass er sich Hals über Kopf in Violetta verliebt, war kaum glaubhaft. Aber Musliu sang sich frei und gewann an Präsenz, so dass ihm die finale Szene eindringlich gelang. Überragend an seiner Seite war Lisette Oropesa in der Titelpartie. Ihr warmer und zugleich kraftvoller Sopran verfügt über ein ungewöhnlich breites dynamisches Spektrum. Sie ist den Koloraturen im ersten Akt ebenso gewachsen wie den lyrischen Momenten im zweiten Bild. Auch im zarten Piano vermag sie den großen Saal zu füllen. Das kommt dieser Partie natürlich besonders im letzten Akt zugute. Günter Krämer, der die Geschichte zwar ohne ersichtlichen Grund in die 1920er Jahre verlegt (das lassen wenigstens die Kostüme von Carlo Diappi vermuten), sie aber klar und weitgehend texttreu erzählt, lässt die Sterbende am Ende ganz nah an der Bühnenrampe auf einer Matratze am Boden liegen, und Lisette Oropesa, deren Violetta anfangs eine durchaus noch kraftvolle Frau war, wirkte nun zart und gebrechlich. Selbst Giorgio Germont lässt dieser Anblick nicht kalt, so dass er zu bereuen beginnt, sie und seinen Sohn Alfredo auseinandergebracht zu haben. Luca Salsi zeigt diesen Vater darstellerisch glaubhaft als harten, zu Gewalt neigenden Mann, der die Interessen der Familie brutal durchzusetzen versteht. Vor allem aber sing er diesen Part so differenziert und klangschön, wie man es sich nur wünschen kann. Eine überragende Leistung. Zusammengehalten wurde diese vorzügliche Besetzung vom umsichtigen Henrik Nánási am Pult des Bayerischen Staatsorchesters. Eher zügig in den Tempi, setzte er sinnvolle dramatische Akzente und schuf mit dem engagiert musizierenden Orchester die nötige Atmosphäre. Ein mitreißender Opernabend, der vom Publikum zurecht gefeiert wurde.