„Der nackte Wahnsinn“ am Wiener Burgtheater
Am Burgtheater feiert Michael Frayns Komödie „Der nackte Wahnsinn“ Premiere
Wien, 31. Dezember 2019, Christian Gohlke
„Der nackte Wahnsinn“ (Noises Off) gehört gewiss zu den besten Komödien, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Seit der Uraufführung 1982 wird das Stück immer wieder von kleinen und auch von großen Häusern gespielt. Es gibt nicht eben viele Dramen der jüngeren Theatergeschichte, denen ein ähnlicher Erfolg beschieden ist. Michael Frayn gewährt in seinem glänzend gemachten Stück einen Blick hinter die Kulissen des Theaters, indem er zeigt, wie eine mittelmäßige Theatertruppe eine seichte, anzügliche Boulevard- und Verwechslungskomödie zunächst probt (es ist die Nacht vor der Premiere) und dann spielt, wobei einmal zu sehen ist, was sich während der Vorstellung auf der Hinterbühne abspielt, und einmal, was aus der Inszenierung im Laufe einer längeren Tournee geworden ist, nämlich ein Stück absurdes Theater, das mit dem Ausgangsmaterial nur noch wenig gemein hat. Martin Kušej, der seit dieser Spielzeit Intendant des Wiener Burgtheaters ist, hat seine Inszenierung des Stückes vom Münchner Residenz-Theater mitgebracht. Am 31. Dezember feierte sie ihre Wiener Premiere. Hier spielt also Sophie von Kessel die Schauspielerin Sophie, die wiederum die ziemlich derbe Haushälterin Frau Klacker darstellt. Die möchte es sich gerade mit einem Teller Sardinen vor dem Fernseher gemütlich machen, wird aber erst durchs Telefon und dann von Vicki und Roger unterbrochen. Beide wollen die Abwesenheit der Hausherren für ein Schäferstündchen nutzen. Doch natürlich kommen die Besitzer, die sich auf der Flucht vor der Steuer befinden, zu eben diesem Zwecke selbst in ihr vermeintlich einsames Haus – und so nimmt das Stück im Stück seinen turbulenten Lauf. Besser gesagt: Es sollte ihn nehmen, denn natürlich klappt bei der Generalprobe wenige Stunden vor der Premiere noch gar nichts: Die Schauspieler können nicht mit den Requisiten umgehen, treten zu früh oder zu spät auf oder ab, fangen plötzlich an, den Sinn des Textes zu hinterfragen, verstricken sich in persönliche Fehden oder betrinken sich. Kein Wunder, dass der geplagte Regisseur Martin K. (Norman Hacker spielt ihn überzeugend als pseudointellektuelles Nervenbündel im dunklen Rollkragenpullover) mehr als nur einmal die Beherrschung verliert. Die Inszenierung von Martin Kušej ist temporeich und genau gearbeitet. Die Pointen sitzen. Das Ensemble des Burgtheaters spielt mit großem körperlichem Einsatz und einer gewissen Lust an der Übertreibung. Zurecht wurde es dafür vom äußerst lachlustigen Publikum in bester Silvesterlaune gefeiert. Zwei Einwände seien gleichwohl vorgebracht: Der erste betrifft die Schauspieler: Abgesehen von Norman Hacker als Regisseur, Arthur Klemt als gutmütig dusseliger Inspizient und Deleila Piasko als verhuschte Regieassistentin haben in diesem Stück alle Schauspieler eine Doppelrolle zu spielen: Nämlich die des Schauspielers, der eine Rolle spielt. Und hier, meine ich, wird im Ton, im Gestus, im ganzen Auftreten nicht stark genug zwischen Binnen- und Rahmenhandlung differenziert. Wenn zum Beispiel die Probe unterbrochen werden muss, weil Genija wieder einmal ihre Kontaktlinsen verliert, oder weil Roger wieder einmal Nasenbluten bekommt, dann müssten Genija Rykova und Thomas Loibl diese Passagen schauspielerisch deutlicher von jenen absetzen, in denen sie ihre Rolle als Vicki und Franz Xaver spielen. Der zweite Einwand betrifft die Regie: Kušej verschießt sein Pulver zu früh. Bei ihm ist bereits der zweite Akt so slapstickhaft übergeschnappt, dass für den dritten keine Steigerung mehr bleibt und die Aufführung zuletzt an Wirkung verliert. Dennoch: Ein unterhaltsamer Abend und eine komische Bereicherung des Burgtheaterspielplans ist dieser „Nackte Wahnsinn“ allemal.