Mozarts „Le clemenza di Tito“ und Puccinis „Tosca“
Die Salzburger Pfingstfestspiele bieten mit Mozarts „Le clemenza di Tito“ und Puccinis „Tosca“ zwei denkwürdige konzertante Opernaufführungen
Salzburg, 25. Mai 2021, Christian Gohlke
Vier Tage lang, vom 21. Mai bis zum 24. Mai, dauerten die Salzburger Pfingstfestspiele. Zehn Veranstaltungen wurden geboten, darunter eine Opernpremiere und zwei konzertante Opernaufführungen, zwei Film-Vorstellungen sowie mehrere Chor- und Orchesterkonzerte. So unterschiedlich das Programm auch sein mag, fast immer war sie mit dabei: Cecilia Bartoli, das Herz und die Seele dieser Festspiele, die man seit 2012 getrost als Bartoli-Festspiele bezeichnen darf. Obwohl heuer erst wenige Wochen vor ihrem Beginn endgültig feststand, dass sie überhaupt würden stattfinden können, betrug die Auslastung stolze 99,5 Prozent, wobei die Spielstätten natürlich nur zur Hälfte im sogenannten Schachbrettmuster belegt werden durften. So konnte die Intendantin des 1973 von Herbert von Karajan gegründeten Ablegers der Sommerfestspiele insgesamt 5767 Besucher aus über 20 Nationen an der Salzach begrüßen. Nicht nur für das seit Monaten darniederliegende Hotel- und Gaststättengewerbe ein gutes Zeichen, sondern vor allem für die Kunst. Wie schon im letzten Sommer haben die Salzburger Festspiele wieder einmal gezeigt, dass auch große Kulturveranstaltungen in Zeiten wie diesen möglich sind. Fast wie früher nahm sich das Leben in Salzburg wieder aus: Die Touristen drängeln sich durch die Getreidegasse, der Schnürlregen ergießt sich beinahe ohne Unterlass vom grauen Himmel, und vor den altehrwürdigen Kaffeehäusern Bazar und Tomaselli bilden sich schon wieder lange Schlangen, so dass man ein wenig Geduld haben muss, ehe man Sachertorte und Apfelstrudel, Würstl und Eierspeisen zu sich nehmen kann.

Dieses Jahr waren die Pfingsttage in Salzburg unter dem Motto „Roma aeterna“ der Heimat Cecilia Bartolis gewidmet. Im Zentrum standen also Werke, die sich auf Rom beziehen. So war es eine stimmige Idee, Mozarts Spätwerk „La clemenza di Tito“ als konzertante Aufführung mit aufs Programm zu setzen. Da im Haus für Mozart mit Videoprojektionen leicht stilisierte, sich immer wieder fast unmerklich verändernde antike Architektur im Bühnenhintergrund gezeigt wird und die Sänger keineswegs nur steif hinter Notenpulten stehen, sondern ihre Rollen mit Engagement und schauspielerischem Einsatz gestalten, vermisst man eine eigentliche Inszenierung kaum. Die Tiefe der Bühne wird vom vorzüglichen Salzburger Bachchor eingenommen, der klangschön und kraftvoll besonders im große Chor-Finale des ersten Aktes in Erscheinung tritt. Vor ihm ist das Ensemble Les Musiciens du Price-Monaco platziert, das 2016 von Bartoli ins Leben gerufen wurde, um vor allem an die Musiktradition der großen Höfe im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts anzuknüpfen. Es setzt sich aus Musikern zusammen, die auf historischen Instrumenten spielen. Geleitet werden diese großartigen Künstler von Gianluca Capuano, der 2017 mit „Ariodante“ sein Festspieldebut gab und häufiger mit Cecilia Bartoli kooperiert.

Mozarts Partitur erklingt unter seiner Leitung hell und mit immer wieder überraschenden Nuancen. Capuano wählt zumeist sehr flotte, mitunter beinahe gehetzt wirkende Tempi (wie etwa beim Huldigungschor an Titus „Serbate, oh Dei Costodi“), fällt dann aber immer wieder auch ins gegenteilige Extrem und gefährdet (wie etwa im Duett zwischen Annio und Sesto „Deh prendi un dolce amplessi“) durch einen Beinahe-Stillstand die Spannung. Wer noch in Erinnerung hat, wie sprechend Nikolaus Harnoncourt im Jahr 2002 mit den Wiener Philharmonikern diese heikle Oper zu gestalten wusste, wird Capuanos Lesart vergleichsweise oberflächlich finden. Und leider hält auch die Besetzung dieser Festspiele dem großen Vergleich nicht ganz stand. Natürlich beeindruckt Cecilia Bartoli als Sesto mit ihrer intensiven Gestaltungsgabe. Wenn sie in der großen Arie „Parto, ma tu ben mio“ Vitellia darum anfleht, sie anzublicken, dann legt die Bartoli in dieses „Guarda mi“ so viel Schmerz und innige Sehnsucht, wie man sich nur denken kann. Fabelhaft glücken dank ihrer stupenden Technik auch die halsbrecherischen Koloraturen beim Nachdenken über die unendliche Macht, welche die Götter der Schönheit verliehen haben. Von der Vitellia der Anna Prohaska hätte man sich indes eine dramatischere Gestaltung dieser Partie und vor allem der großen Arie „Non piu di Fiori“ gewünscht, in der sie Abschied nimmt von ihren Träumen und als zerrissene Seele von ihrem Schmerz kündet. Mélissa Petit, Lea Desandre und Peter Kálmán gestalteten die kleineren Rollen der Oper (Servilia, Annio, Publio) ansprechend mit jugendlich frischen Stimmen. Herausragend schließlich war Charles Workman als Kaiser Titus. Sein klarer Tenor besitzt Strahlkraft und Geschmeidigkeit, ist zu einem feinen Piano („Del piú sublime“) ebenso fähig wie zu heldischer Größe („Se all’impero“) oder zu sinnvoll phrasierten, auf langem Atem gesungenen Koloraturen.

Zum glanzvollen Abschluss stand am Montag, dem 24. Mai, eine Aufführung von Puccinis „Tosca“ auf dem Programm, dieses Mal im Großen Festspielhaus. Als äußerst luxuriöse Einspringerin für die verhinderte Anja Harteros war Anna Netrebko in der Titelpartie zu hören, nein: zu erleben. Die Rolle der berühmten römischen Sängerin Floria Tosca ist wie gemacht für die noch berühmtere russische Sängerin Anna Netrebko, die mit hör- und sichtbarer Lust bei der Sache war. Das Kapriziös-Divenhafte der Figur, die so eifersüchtig wie liebebedürftig ist, war selbst in dieser bloß konzertanten Fassung ebenso zu erleben wie der aufschäumende Hass gegenüber Scarpia im zweiten oder die tiefe Verzweiflung, die im dritten Akt schließlich zum Sprung von der Engelsburg führt: „O Scarpia, avanti a Dio!!“ Wie Anna Netrebko im Laufe des Abends nicht nur ihr mehr als nur angedeutetes Spiel, sondern vor allem ihren stimmlichen Ausdruck wandeln kann, ist einfach großartig. Mühelos füllt diese Stimme auch im Piano warm flutend und leuchtend den Raum, die Höhen sind stets perfekt gerundet, und die Sängerin weiß ihre enormen Fähigkeiten in den Dienst der Rollengestaltung zu stellen, so dass, gerade im Zusammenspiel mit Jonas Kaufmann als Mario, ein glaubhaftes Charakterportrait entsteht. Auch Kaufmann gestaltete seine Partie differenziert und intelligent. Sein viriler, dunkel gefärbter und kraftvoller Tenor erlaubt es ihm, die unterschiedlichen Facetten der Figur auszuspielen. Besonders eindrucksvoll gelingt ihm dies im zweiten Akt, wenn er, als die Nachricht vom Sieg Napoleons bei Marengo eintrifft, seinem Peiniger Scarpia sein „Vittoria! Vittoria!“ wirklich „con grande entusiasmo“ (so die Regieanweisung) entgegenschleudert, oder wenn er, den Tod vor Augen, im dritten Akt ganz nach innen gekehrt im zurückgenommenen Piano sich noch einmal seinen Liebestraum vergegenwärtigt, um dann mit großem Ausdruck verzweifelt zu enden: „e muoio disperato!“ Dass die Geschichte so desperat ausgeht, ist natürlich dem finsteren und zynischen Baron Scarpia geschuldet, den Luca Salsi mit klarem und kraftvollem Bariton sang, der für diese Partie allenfalls noch ein wenig schwärzer sein dürfte. Starken Beifall gab’s am Ende nicht nur für die Sänger (auch die kleinen Nebenrollen waren mit Alessandro Spina als Angelotti und Francesco Pittari als Spoletta gut besetzt), sondern auch für das Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino. Unter der Leitung Zubin Mehtas fanden die Musiker zu einem atmosphärisch dichten Spiel und einem satten, manchmal etwas breiten Klang, dem man schärfere Konturen und dramatischere Akzente gewünscht hätte. Der Jubel des Publikums war groß, nach „Titus“ ebenso wie nach „Tosca“ und galt gewiss nicht nur den Aufführungen selbst, sondern auch dem Umstand, überhaupt wieder Musik im Theater erleben zu können. Dafür nimmt man Corona-Tests, strenge Einlasskontrollen und sogar das unangenehme Tragen von FFP2-Masken in Kauf – und freut sich schon jetzt auf einen (vielleicht ja sogar maskenfreien) Festspielsommer in Salzburg.