Repertoirealltag
Gemischte Empfindungen hier wie dort: „Zauberflöte“ in München, „Rigoletto“ in Wien
München/Wien, 29. Dezember 2024, Christian Gohlke

Wie die Qualität eines Opernhauses in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, hängt maßgeblich davon ab, wie die Presse über die Neuproduktionen urteilt. Der Opernalltag besteht indes keineswegs nur aus Premieren, sondern zumeist aus betagten oder sehr betagten Repertoirevorstellungen. Sie werden nur selten kritisch reflektiert – bilden aber doch die Substanz der Spielpläne. Die Bayerische Staatsoper und jene in Wien gehören zweifelsohne zu den bedeutenden Opernhäusern der Welt, weshalb sich ein kurzer, kritischer Blick auf je eine der älteren Produktionen lohnt.

München: „Die Zauberflöte“

Seit der Premiere 1978 erfreut sich das Publikum an August Everdings unverkrampfter Erzählweise, die Vorstadtkomödie und Weihespiel so glücklich zu vereinen wusste, und an der märchenhaften Schönheit des Bühnenbildes, an den liebevollen, detaillierten Kostümen von Jürgen Rose. In welchem Opernhaus der Welt gibt es noch einen gestirnten Nachthimmel beim Auftritt der sternflammenden Königin zu sehen? Wo darf die Schlange, die Tamino verfolgt, noch Feuer speien? Wo werden die Elemente bei der Feuer- und Wasserprobe noch vors Auge des Zuschauers gebracht? Die alte Münchner Inszenierung fasziniert bis heute. Immer wieder wird man von ihrem Charme eingefangen, – wenn auch natürlich nicht immer im gleichen Maße. Denn die musikalische Qualität schwankt von Aufführungszyklus zu Aufführungszyklus mitunter beträchtlich. Jetzt stand zum ersten Mal Nikolaj Szeps-Znaider am Pult des sehr klein besetzten Staatsorchesters. Der wenig sinnliche Klang blieb leider weitgehend spannungslos, auch weil der Dirigent die Melodien nicht genug aus der dramatischen Situation heraus gestaltete. Immerhin, er führte die Besetzung sicher durch den Abend. Hier überzeugten vor allem zwei Sänger: Georg Zeppenfeld fehlt als Sarastro zwar die mühelose Bass-Gewalt ein wenig, aber er artikuliert präzise und differenziert. Ying Fang, die in Shanghai und New York studierte, tut sich hingegen mit der deutschen Sprache noch etwas schwer, was in den Dialogen deutlicher in Erscheinung tritt als bei ihrer großen Kummer-Arie. Aber sie hat eine warm timbrierte, jugendlich-lyrische Stimme, die kraftvoll und zart sein kann. Dass sie den Ton bis zum Pianissimo immer wieder zurücknimmt (zum Beispiel, wenn sie von der „Ruh“ singt, die sie im Tode finden wird), ist zwar technisch bewundernswert, wirkt aber durch Wiederholung allzusehr wie ein kalkulierter Effekt. Abgesehen von diesen beiden Partien, gibt es wenig Erfreuliches über die Besetzung dieser aktuellen „Zauberflöte“ zu berichten: Giovanni Salas Tenor bleibt während der ganzen Aufführung gaumig und belegt, weshalb er Taminos Bildnis-Arie jede Emphase schuldig bleibt; bei Jessica Pratt sitzt nicht eine Koloraturenkette wirklich makellos. Und Konstantin Krimmel bringt als Papageno das Kunststück fertig, zugleich unsicher und routiniert zu wirken. Sein Auftritt wirkt lieblos abgespult; für die Herzenstöne Papagenos findet er keinen Ausdruck – eine enttäuschende Leistung. Und insgesamt ein Abend, der eher traurig stimmt: Diese Produktion hätte nämlich eine sorgfältigere, liebevollere Einstudierung verdient.

Wien: „Rigoletto“

So schön die alte Münchner „Zauberflöte“ ist, so unbedeutend ist Pierre Audis „Rigoletto“ aus dem Jahr 2014. Von einer eigentlichen Inszenierung kann hier im Grunde kaum die Rede sein; die Sänger agieren hilflos und bleiben sich selbst überlassen. Zwar schuf Christof Hetzer geschmackvolle, historisierende Kostüme – ausgleichshalber aber leider auch ein Bühnenbild von monströser Hässlichkeit: Ein gelblicher Verhau, halb Bungalow, halb Pfahlbau, soll des Herzogs Schloss markieren. Gilda schwebt später in einem hölzernen Kasten herab, ein paar schwarze Müllsäcke sollen die Zwielichtige Umgebung andeuten, in der Sparafucile sein Unwesen treibt. Eine nichtige Produktion also – aber dank dem großartigen Orchester der Staatsoper trotzdem immer wieder ein packender Abend: Carlo Rizzi wählt zügige, aber atmende Tempi, hat Sinn für die dunkle Dramatik dieser Musik, die er gekonnt auf Höhepunkte zusteuern lassen kann. Schade, dass die Sänger nicht ebenso differenziert im Ausdruck waren. Amartuvshin Enkhbat verfügt in der Titelrolle zwar über einen kraftvollen, unverwüstlichen Bariton, aber er bleibt in seiner Rollengestaltung allzu monochrom – ein Eindruck der von seiner völlig statischen Spielweise unterstrichen wird. Dmitry Korchak ist als Herzog von Mantua eine glaubhaftere Besetzung: Sein Tenor hat Strahlkraft und Energie („Ella mi fu rapida“ gelingt ihm beeindruckend gut), kann sich aber auch zurücknehmen. Etwas einförmig blieb hingegen das (eher unschöne, leicht verhangen wirkende) Timbre von Nina Minasyan als Gilda. Ihre Koloraturen gelingen technisch sicher, aber ein glaubhaftes Rollenportrait liefert auch sie nicht. Besser glückt das Monika Bohinec mit ihrem dunklen, glutvollen Mezzo als Maddalena. Großen, aber kurzen Applaus gab es für diese szenisch indiskutable, musikalisch durchwachsene Aufführung vom Publikum dennoch, wobei der Anteil eher gelangweilt wirkender Touristen ziemlich groß gewesen sein dürfte.