Zu sehen gab es als Eröffnungspremiere „7 Deaths of Maria Callas“ von Marina Abramović. Der mediale Rummel, der um diese eigentlich schon für den Frühjahr geplanten Produktion gemacht wurde, war gewaltig, gehört Abramović doch zu den profiliertesten Künstlerinnen unserer Gegenwart. Performances wie „Seven Easy Pieces“ (Guggenheim Museum 2005) oder „The Artist Is Present“ (2010 im MoMa) machten sie weltberühmt. Verständlich also, dass die Neugier auf ihre neue Kreation groß war. Doch der Abend im Münchner Nationaltheater enttäuschte. Was ist zu sehen? Hinter einem Gaze-Vorhang liegt die Künstlerin als Maria Callas in einem üppigen Bett. Es ist, wie sich später zeigen wird, ihr Totenbett, und darin rekapituliert sie einige große Opernszenen. Es sind die „sieben Tode“ der Callas, handelt es sich bei den Sterbenden doch um Violetta, Tosca, Desdemona, Cio-Cio San, Carmen, Lucia und Norma. Was Abramović/Callas zu diesen Szenen assoziiert, zeigen dem Zuschauer großformatige Videofilme, die auf den Vorhang projiziert werden, während sieben Sängerinnen in nonnenähnlichen grauen Kostümen mit breitem weißem Kragen an der Rampe stehen und nacheinander die sieben großen Todesszenen singen, mit denen die Callas unsterblich wurde. Die Bilder dazu sind einigermaßen vage und assoziativ: Stirbt Violetta, so kniet ein Mann trauernd an ihrem Bett; ist Tosca an der Reihe, sieht man, wie Abramović sich von einem Hochhaus stürzt; steht Desdemonas Ende bevor, winden sich dicke Pythons um den Hals der Künstlerin und so weiter. Verbunden werden diese Sequenzen durch kurze, atmosphärisch dichte, filmmusikartige Passagen (Marko Nikodijević), zu denen Texte von Abramović und Petter Skavlan gesprochen werden. Der letzte Tod, der gezeigt wird, ist der von Calllas selbst: Jetzt sieht man eine Nachbildung ihrer letzten Adresse in Paris, und anstatt eines Videos gibt es nun doch noch so etwas wie eine Aktion auf der Bühne: Callas erhebt sich aus ihrem Bett, betrachtet sich eine Weile im Spiegel, zertrümmert eine Vase und stirbt. Dann wird ihr Zimmer aufgeräumt und desinfiziert. Und dann ist der Abend zu Ende. Er hätte auch „Die schönsten Operntode“ heißen können, denn viel mehr als eine Zusammenstellung dieser Hits ist es nicht, was hier geboten wird. Immerhin, es wird gut gesungen (zum Beispiel Adela Zaharia als Lucia, Lauren Fagan als Norma oder Nadezhda Karyazina als Carmen). Das Bayerische Staatsorchester spielt unter der Leitung von Yoel Gamzou mit Verve, und weil der Zuhörer sieben große Opernszenen zu hören bekommt, ist die Aufführung einigermaßen kurzweilig. „From suffering comes the best work“ behauptete Mariana Abramović einmal. Dieses Mal scheint sie nicht besonders tief gelitten zu haben.
Überzeugender als diese Neuproduktion gelangen die beiden Wiederaufnahmen zum Auftakt dieser neuen, von allerlei Unsicherheiten geprägten Saison. Weil die Aufführungen alle ohne Pause gespielt werden, mussten sowohl die „Zauberflöte“ als auch „Cosi fan tutte“ gekürzt werden.
Die Not dieser Tage entschuldigt ja fast alles: Aber die Ouvertüre zur „Zauberflöte“ einfach zu halbieren, das geht dann doch zu weit. Dass dem charmanten und mit baritonalem Schmelz singenden Papageno des Michael Nagy nicht alle Strophen seiner beiden Lieder gelassen wurden, ist ebenfalls bedauerlich, und ob es klug ist, die „Cosi“ mit einem Rezitativ beginnen zu lassen, weil gleich beide Eingangs-Terzette gestrichen wurden, scheint fraglich.
Gleichwohl, an beiden Abenden konnte man sich erfreuen, besonders an der „Zauberflöte“ in der altgedienten und immer wieder sehenswerten Inszenierung von August Everding und der wunderbaren, zeitlos schönen Ausstattung von Jürgen Rose. Dass die Aufführung trotz der nicht immer sensiblen Striche so lebendig wirkte, ist nicht zuletzt Jordan de Souza zu verdanken. Sein Dirigat ist zwar nicht immer präzise (gleich der erste Einsatz verwackelte arg), und die hohe Platzierung des Orchesters legt intonatorische Schwächen (besonders in den ersten, mitunter allzu präsenten Geigen) gnadenlos offen, aber der junge, aus Kanada stammende Dirigent arbeitet das Sprechende dieser Musik als Klangrede überzeugend heraus. Dabei kommt ihm zugute, dass die wichtigsten Partien mit Sängern besetzt sind, die akzentfrei Deutsch sprechen können. Neben Michael Nagy überzeugen an diesem Abend vor allem Benjamin Bruns als kraftvoller, eher heldischer Tamino und Hanna-Elisabeth Müller mit ihrem leuchtenden, warmen und geschmeidigen Sopran ohne jede Schärfe als anrührende Pamina. Sabine Devieilhe konnte besonders mit der zweiten Arie der Königin der Nacht brillieren, weil sie die Koloraturen nicht nur mit großer technischer Sicherheit sang, sondern sie überdies dramatisch zu gestalten wusste.
Auch die „Cosi“-Inszenierung von Dieter Dorn (wiederum in der Ausstattung Jürgen Roses) ist nach wie vor sehenswert. Sie zeigt die Gefühle der Frauen zunächst eher als Spiel und Tändelei. Auch in ihre Verzweiflung mischt sich einiges an Affektiertheit, wie Christiane Kargs differenziert gestaltete „Felsenarie“ zeigt. Dann aber wandeln sich ihre Gefühle, und echte Liebe, echter Schmerz entstehen – nicht nur, aber vor allem bei Fiordiligi, der ernsthafteren der beiden Schwestern. Umso bedauerlicher ist es, dass von ihrer zweiten großen Arie „Per pieta“ nur das einleitende Rezitativ gesungen wurde. Als leichtblütigere Dorabella war Angela Brower zu erleben. Ihr kraftvoller und agiler Mezzo entfaltete seine Schönheit nicht zuletzt im Zusammenspiel mit dem Guglielmo im großen Duett mit dem Tausch der Herzen, den Andrè Schuen mit stimmlicher Eleganz verführerisch einzuleiten wusste. Geriet seine Rollengestaltung in der Salzburger „Cosi“ diesen Sommer noch etwas grob, so fand er in München szenisch wie musikalisch zu einem differenzierteren Ausdruck. Das Quartett der Liebenden wurde durch Ioan Hotea als Ferrando mit etwas engem Tenor ergänzt. Den zwei Paaren, deren Gefühle alsbald in Irrungen und Wirrungen geraten, standen mit Tara Erraught als äußerst spielfreudige, recht derbe Despina und Edwin Crossley-Mercer als solider, leider etwas gaumig klingender Don Alfonso zwei abgebrühte Spielmacher entgegen. Antonella Manacorda leitete die Aufführung mit zumeist sehr raschen Tempi, mitunter harschen Akzenten, aber auch mit Sinn für klangliche Schönheiten, vor allem in den Holzbläserstimmen. Die Fülle der Details, die er hörbar macht, trat freilich gelegentlich allzu sehr auf Kosten der großen Linie in den Vordergrund. Warum die Chöre in der „Cosi“ gestrichen wurden, bleibt so rätselhaft wie manche szenische Änderung, die vor allem bei der „Zauberflöte“ auffiel. Die gravierendste davon ist indes nicht der Corona-Epidemie geschuldet, sondern einer anderen Seuche: nämlich derjenigen des Zeitgeistopportunismus. Aufgrund zahlreicher Beschwerden habe sich die Oper, hieß es vorab, dazu entschlossen, auf das umstrittene „black facing“ zu verzichten. Monostatos und seine Gesellen sind nun keine Mohren mehr, sondern, politisch korrekt, nur noch Sklaven. Wäre es nicht konsequent, auch „Carmen“ und „Butterfly“ als rassistisch vom Spielplan zu tilgen?
Nach einer fast halbjährigen Spielpause nahm die Bayerische Staatsoper den Betrieb Anfang September wieder auf. Gerade einmal 500 Zuschauer sind im riesigen Nationaltheater, das leicht die vierfache Kapazität fassen könnte, derzeit probeweise bis Ende September erlaubt. Wie es im Oktober weitergeht, ist noch unklar. Es gelten die üblichen Sicherheits- und Abstandsregeln. Sie werden streng überwacht. Und zwar nicht so sehr vom Einlasspersonal der Oper als vielmehr von Zuschauern, die sich dazu berufen fühlen, auch kleine Verstöße scharf abzumahnen. Eine Durchsage vor Beginn jeder Aufführung klärt die spärlichen Opernbesucher über die Regelungen noch einmal auf, und so erinnert die etwas trübe Atmosphäre an die Stimmung in einem Flugzeug kurz vor seinem Start. In Erwartung einer glücklichen Reise nimmt man alles hin, wundert sich ein wenig darüber, dass die ersten Reihen im Parkett abgebaut sind, um den Orchestergraben zu vergrößern, und ist froh, wenn endlich der Dirigent erscheint und die Lichter erlöschen.