Thielemann dirigiert in Salzburg die Wiener Philharmoniker
Am 22. August vor einhundert Jahren wurden die Salzburger Festspiele gegründet. Die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Christian Thielemann gaben im Großen Festspielhaus eine glanzvolle Matinee zum Jubiläum
Salzburg, 22. August 2020, Christian Gohlke
Zum 100. Geburtstag der Salzburger Festspiele – am 22. August 1920 wurde zum ersten Mal Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ auf dem Domplatz gegeben – war eigentlich ein großes Stadtfest geplant. Wie die Festspiele selbst, so musste auch die Geburtstagsparty in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie kleiner als geplant ausfallen. Immerhin, abends gab’s, wenn auch nicht auf dem Domplatz, sondern wegen des Regens im Großen Festspielhaus, eine Aufführung der aktuellen „Jedermann“-Inszenierung im Beisein des österreichischen und des deutschen Bundespräsidenten. In den Gassen der Altstadt wurden 10.000 kostenlose Sonderdrucke des Dramas verteilt, und ehemalige Jedermänner und Buhlschaften wie Klaus Maria Brandauer, Peter Simonischek oder Veronica Ferres lasen Texte des Festspiel-Mitbegründers Max Reinhardt und Rezensionen zum ersten „Jedermann“ von 1920.

Der eigentliche Höhepunkt dieser Geburtstagsparty war indes das dritte Konzert der Wiener Philharmoniker in diesem Festspielsommer. Christian Thielemann, der wegen seiner Verpflichtungen in Bayreuth seit einigen Jahren nicht bei den Salzburger Festspielen zu Gast war, dirigierte ein Programm, das ganz seinem Geschmack entsprach: Richard Wagners fünf „Wesendonck-Lieder“ sowie Anton Bruckners 4. Sinfonie.

Gemeinsam mit den großartig disponierten Wiener Philharmonikern breitete Thielmann der Solistin dieser Matinee einen wunderbar zarten und fein gesponnenen Klangteppich aus. Elīna Garanča wusste ihn zu nutzen für ihre einfühlsame und differenzierte Gestaltung. Gleich im ersten Lied „Der Engel“ konnte sie mit leuchtenden und zarten Höhen von Engeln erzählen, die des Himmels „hehre Wonnen / Tauschen mit der Erdensonne“. Motorisch bewegt und von innerer Unruhe geprägt war dann vom „sausenden, brausenden Rad der Zeit“ die Rede, wobei Garančas klare und unangestrengt wirkende Diktion, vor allem aber der Farbenreichtum ihres Vortrages bewundert werden konnte. Immer wieder fand die Sängerin für diese Lieder andere Nuancen, so dass sich reine Stimmschönheit mit kluger künstlerischer Gestaltung verband.

Wie schon bei der Begleitung der „Wesendonck“-Lieder, die in der Orchestrierung von Felix Mottl gespielt wurden, so kamen auch im zweiten Teil des pausenlosen Konzerts die solistischen Qualitäten des Orchesters aufs schönste zur Geltung. Bruckners Vierte Sinfonie, die sogenannte „Romantische“, wurde 1874 fertiggestellt, dann aber, wie so oft bei diesem Komponisten, mehrmals überarbeitet. In Salzburg dirigierte Thielemann die von Robert Haas herausgegebene Fassung aus dem Jahr 1878/80, die von Hans Richter und den Wiener Philharmonikern 1881 uraufgeführt wurde. Dass die Wiener ihren Bruckner kennen, versteht sich mithin von selbst. Weich ertönte zu Beginn des eher zügig genommenen ersten Satzes der viermalige Hornruf (vorzüglich gespielt von Ronald Janezic) über dem brucknertypischen Streichertremolo, getragen, aber zugleich ungemein kraftvoll gelang der feierliche Bläserchoral als Höhepunkt eines klug disponierten Kopfsatzes. Die Cello-Gruppe spielte das trauermarschähnliche c-Moll-Eingangsmotiv des Andante mit elegischer Schönheit, ehe es von den homogen klingenden Holzbläsern aufgegriffen und fortgeführt wurde und schließlich zu einer großen dynamischen Steigerung fand. Im prachtvoll triolischen Jagdgeschmetter des Scherzos wirkte das Trio wie ein gemütliches Refugium, von Flöte, Klarinette und Oboe (bravourös: Karl-Heinz Schütz, Matthias Schorn und der erst 22 Jahre alte Sebastian Breit) wunderbar klangschön gestaltet.

Thielmann nahm sich dabei immer wieder zurück und gab den Musikern Raum zur Entfaltung, dann wieder setzte er kraftvolle Akzente und überzeugte mit einer klugen Dramaturgie. Überwältigend gelang so das Finale mit einer unerhörten Steigerung in der Coda, die sich bei Thielemann ganz aus einer inneren Spannung heraus entwickelte und schließlich monumental entlud. Eine lange Stille folgte diesem gewaltigen Ausklang, dann setzte großer Jubel ein. Auch als die Musiker die Bühne längst schon verlassen hatten, wurde der Dirigent wieder und wieder hervorgerufen. Ein mehr als nur herzlicher Dank für ein großes, wahrhaft festspielwürdiges Konzert.