Mehr Elefanten, bitte!
Verdis „Aida“ an der Bayerischen Staatsoper
München, 15. Mai 2023, Christian Gohlke

Wann immer in den letzten Jahren Verdis „Aida“ neu inszeniert wird, verkünden die Regisseure vorab im Tone der Bedeutsamkeit, ja des Verwegenen, dass sie in ihrer Neuproduktion auf alles Ägyptische verzichten würden: Elefanten, heißt es dann meist in der Presse, werde es dieses Mal gewiss keine geben. Das Ergebnis dieses scheinradikalen Zugriffs wird dann gerne als „provokant entstaubt“ betitelt, ist aber zumeist nur einfallslose Tristesse. Wer einen Beleg für diese – zugegeben: ein wenig pauschale – These sucht, der möge nach München gehen, um sich dort Damiano Michielettos neue „Aida“ anzusehen, die alle Ingredienzien schlechten Regietheaters in üppiger Fülle aufweist. Zunächst einmal ist da – wie könnte es anders sein? – ein schäbig heruntergekommenes Einheitsbühnenbild (Paolo Fantin). Jetzt in München eine zerschossene Turnhalle mit vergammelten Stahlrohrstühlen und allerlei sonstigem Plunder. Aus einer löcherigen Decke rieselt gelegentlich dekorativ schwarze Asche herab, die später gottlob Reck und Barren unter sich begräbt. Unverzichtbar sodann die grauen oder blauen oder braunen billigen Straßenanzüge für die Protagonisten, die als Ägypter allesamt wie schlechtgekleidete Bankbeamte mittlerer Charge, als Äthiopier wie zerschlissene Sandler daherkommen (Carla Teti, Kostümbildnerin ihres Zeichens, hat hier ganze Arbeit geleistet). Der Triumphmarsch bildet selbstredend das Kernstück der dekonstruktiven Regie-Arbeit: Hier gelte es, die „Perspektive der Opfer“ einzunehmen, wie uns die feinfühligen Regisseure in schönster Regelmäßigkeit wissen lassen. Und so zeigt Michieletto erwartungsgemäß keine Helden zu Verdis schmetterndem Marsch, sondern Kriegsversehrte, die im Rollstuhl oder auf Krücken daherkommen und mit einem Orden bedacht werden. Das soll schockieren. Ist in seiner Erwartbarkeit aber doch nur läppisch. Da nun aber Verdis Musik zu dieser Szene ziemlich ausführlich geraten ist und das vorgesehene Ballett vom modernen Regisseur selbstverständlich gestrichen werden muss, gibt es nur einen Ausweg: Die Video-Projektion. So versorgt rocafilm das Münchner Publikum mit ein paar blutigen Gesichtern, um die entstandene Leere zu füllen. Insgesamt scheint Herr Michieletto vor der Leere ein ziemliches Grauen zu empfinden, weshalb er Zusatzhandlungen kreiert, die den Abend wohl packender und gefühlstiefer werden lassen sollen. Kinder sind dafür stets ein probates Mittel. Die spielen zunächst mit Radamès (Brian Jagde singt ihn mit kraftvollem, aber eher undifferenziertem und etwas einfarbigem Tenor) ein wenig Ball, später wird eins davon in einen weißen Sarg gelegt. Zum Verständnis der Handlung trägt dergleichen billige Emotionalisierung wenig bei. Der Konflikt der Figuren, ihre Zerrissenheit, ihre Sehnsucht, ihr Schmerz, ihr Glück – kaum etwas davon wird an diesem schalen Opernabend in München spürbar. Eine präzise, feinfühlige Personenführung gibt es nicht. Stattdessen abgegriffene Operngesten. Anita Rachvelishvili gestaltet die Figur der Amneris mit nicht ganz bruchlos über die Register hinweggeführtem, dunkel loderndem, manchmal heißer verschattetem Mezzo nahe an der Karikatur, Elena Stikhina verleiht der Titelfigur mit klar geführtem, eher zartem Sopran musikalisch einige Anmut, bleibt szenisch aber recht unscheinbar. Dem König (Alexandros Stavrakakis) fehlt es an müheloser Bassgewalt, Ramfis (Alexander Köpeczi) und Amonasro (George Petean) machen ihre Sache gut, ohne besonderen Eindruck zu hinterlassen. Daniele Rustioni am Pult des spielfreudigen Bayerischen Staatsorchesters gestaltet zwar immer wieder berückend schöne Momente, bringt Einzelheiten zur Geltung und treibt das Geschehen dynamisch an, wird dabei aber stellenweise viel zu laut und kann die Spannung nicht durchgehend halten. Was wunder also, dass für jede weitere Aufführung dieser Produktion, die bis zum Ende der Spielzeit noch zehn Mal zu sehen sein wird, reichlich Karten zu haben sind. Das immerhin ist neu in München. Und ziemlich besorgniserregend.