Vom Pumuckl zum Parzival –
Klänge in der (mittelalterlichen) Literatur
München, 16. April 2024, Lena Kristin Wittland

„Dichtung wird durch Krach erst schön!“, erklärt der allseits bekannte Kobold mit den roten Haaren seinem Meister Eder in einer der frühen Pumuckl-Folgen*. Doch was im Kontext von Knackfröschen und Schreinerwerkstatt banal klingen mag, trifft ein sich in der Entwicklung befindliches Feld der aktuellen literaturwissenschaftlichen Forschung recht gut: die Soundstudies. So, wie zunächst unter anderem der spatial turn, die Auseinandersetzung mit dem Raum in Literatur, sowie der cultural turn, also die Hinwendung der Literatur- zur Kulturwissenschaft, im Zentrum des Interesses standen (und immer noch stehen), rückt seit den 1990er Jahren die auditive Ebene literarischer Texte in den Vordergrund. Doch was verbirgt sich hinter jenem auditory turn?

Zwar lässt das Stichwort des Hörens im Feld der Literatur zunächst insbesondere Autorenlesungen sowie Audiobooks und verwandte Speichermedien für gesprochenen Text assoziieren, doch das Interessenfeld literaturwissenschaftlicher Klangstudien ist weitaus breiter. Nicht nur eine auditive Rezeptionssituation, sondern auch eine klangvolle Ausgestaltung literarischer Texte, wie es gerade in der Lyrik Ernst Jandls (z.B. schtzngrmm) der Fall ist, sowie die Beschreibung von Klängen, die beispielsweise Thomas Mann zur Einleitung des Erwählten nutzt, sind hierbei zu nennen.

Klar ist daher, dass sich die Soundstudies keineswegs nur mit Texten aus dem Zeitalter der digitalen Speichermedien auseinandersetzen. Gerade mittelalterliche Texte, die in ihrer Entstehung und Rezeption eng mit dem mündlichen Vortrag verwoben sind, sind eine ergiebige Quelle literarischer Klänge. Was und wer ist also zu hören in der Welt der Artus- und Gralsritter? Wonach klang das literarische Mittelalter? Und welche neuen Perspektiven eröffnet ein solcher auditiver Zugang zum Text? Höchste Zeit, den Parzival Wolframs von Eschenbach (entstanden um 1200) einer eingehenden Lektüre mit gespitzten Ohren zu unterziehen.

Liebe auf den ersten Ohrenblick

Noch vor der Geburt des titelgebenden Helden spielen Klänge eine wichtige Rolle im Roman, denn das Kennenlernen seiner Eltern, Gahmuret und Herzeloyde, vollzieht sich nicht nur im übertragenen Sinne mit Pauken und Trompeten:

„Es schallten vor ihm [Gahmuret] mit großem Getöse Posaunen. Zwei Tamboure warfen ihre Schlegel und machten viel Krach mit ihren Trommeln: über die ganze Stadt hin hallte der Lärm.“ (PA 63 V. 2–6**) Auch für den Leser wird jenes Schallereignis ahnbar, da die Töne der Tambure und Posaunen zu Beginn des mittelhochdeutschen Textausschnitts mit langen, dunklen ô-, û- und â-Klängen onomatopoetisch umgesetzt werden und in der darauffolgenden Darbietung der videlære (Flötisten) der Fokus auf hellen i-Lauten liegt:

die hellen pusînen
mit krache vor im [Gahmuret] gâben dôz.
von wûrfen und mit siegen grôz
zwen tambûre gâben schal:
der galm ûbr al die stat erhal.
der dôn iedoch gemischet wart
mit floytieren an der vart:
ein reisenote si bliesen,
sο nu sulen wir niht verliesen,
wie ir hêrre komen sî:
dem riten videlære bî. (PA 63, V. 2–12)

Während der Einzug Gahmurets samt seiner Privatkapelle alle in der Stadt weckt, die noch schlafen (vgl. PA 62, V. 29f.), scheint die lautstarke höfische Werbekampagne ihre Wirkung jedoch nicht zu verfehlen, denn die Königin der soeben betretenen Stadt heiratet den Ankommenden, – und nur wenig später wird Parzival geboren.

Dass nicht nur dessen Vater, der bereits vor der Geburt in einer Schlacht fällt, einen Hang zur Musik hat, sondern auch Herzeloyde bald darauf unter anderem von lautstarkem Donnergrollen in Bezug auf den ungeborenen Sohn träumt, gibt dem jungen Helden gleichsam ein beidseitiges akustisches Erbe mit auf den Weg. So verwundert es nicht, dass auch in seiner Kindheit verschiedenen Klängen eine wirkungsvolle Bedeutung zukommt.

vogelsanc und schellen klanc

Parzival wächst, der Angst seiner Mutter folgend, er könne wie sein Vater als Ritter sterben, in einem abgelegenen Wald auf und zeigt eine auffallende emotionale Sensibilität für Klänge: „wenn über ihm die Vögel sangen [...] drang ihm [dies] so süß ins Herz“, dass er zu weinen beginnt (PA 118, V. 15f.). Herzeloyde, die eifersüchtig auf jene Leidenschaft des Sohnes reagiert, lässt kurzerhand alle Vögel töten, beendet jene harsche Erziehungsmethode aber dann aus Gottesskrupel und belehrt ihr Kind knapp über ihre Religion: „[Gott] ist noch heller als die Sonne“ (PA 119, V. 19). Diese zweifelhaften Erziehungsmethoden und Lehren stellen sich bald darauf jedoch als wirkungslos heraus, was sich zeigt, als Parzival erstmals auf einen Ritter trifft. Jene Berufsklasse, von der Herzeloyde ihn unbedingt fernhalten wollte, wird hierbei nicht nur visuell, sondern auch akustisch eingeführt:

Parzival sucht im Wald nach einem Blatt zum Pfeifen und möchte offensichtlich gerade den geliebten vogelsanc imitieren, als er „das Geräusch von Hufgetrappel“ (PA 120, V. 15) hört und sogleich mit dem Teufel identifiziert. Kaum schaut er auf, sieht und hört er aber genau das Gegenteil: „Er hatte noch nie etwas so glänzend Lichtes gesehen. Bis auf den Tau hinab fiel der Waffenrock. Von glitzernden goldenen Glöckchen vor jedem Bein klingelten die Steigbügel [...]“ (PA 122, V. 1–5). Der Lehre seiner Mutter folgend, kann dies nur eins bedeuten: Vor ihm steht Gott. Schnell berichtigt der Ritter diesen Irrtum, doch nach der Begegnung ist für Parzival klar, dass er zu Artus ziehen und ebenfalls Ritter werden möchte. Im fließenden akustischen Übergang von Naturklängen (Vögel) über das Pferdegetrappel als Klang anthropologisch geprägter Natur hin zum reinen Kultur-Laut der Glöckchen ist Parzivals Austritt aus der Natur des Waldes bereits angelegt, der sich am Folgetag vollzieht.

Schlachtlärm

Schnell zeichnet sich Parzival als exzellenter Ritter aus und heiratet. Da er bei einem Besuch der Gralsburg zwar als künftiger Gralsherr aufgenommen wurde, jedoch dabei versagte, seinen Vorgänger von einem schlimmen Leid zu befreien, ist sein Lebensweg fortan darauf ausgerichtet, die Gralsburg erneut aufzufinden und seinen Fehler zu beheben. Auf diesem Weg werden verschiedene Kämpfe beschrieben, die stets eine einzigartige Akustik mit sich bringen. So berichtet die Erzählinstanz über Parzivals Gegner Segramors im Kampf der zentralen Blutstropfenszene, man „hätte [ihn] am liebsten in die Luft werfen mögen“, weil auch an seiner Rüstung so manche schöne Schelle klingelte (PA 286, V. 30). Und neben dem Klirren der Schwerter untermalt zuletzt das zerberstende Bein des zweiten Gegners und die tönenden Glöckchen an dessen Sattel Parzivals Sieg (vgl. PA 295, V. 24–27). Auch bei den Kämpfen an den Schauplätzen bei Belrapeire und Bearosche gehören der Schwerterklang auf dem Helm und das Krachen der Speerspitzen zu den stets beschriebenen und oftmals klangmalerisch inszenierten Schallereignissen. Ihre Bedrohlichkeit wird hierbei zuweilen durch eine Wettermetaphorik herausgearbeitet, wodurch auch eine Rückverbindung zu Herzeloydes Traum entsteht. So geht es beim Kampf bei Bearosche, den Gawan, der zweite Protagonist des Romans, bestreitet, folgendermaßen zu: „Posaunen dröhnten mit Getöse, das war wie der Donner, der alle Macht hat über den Schrecken in der engen Brust. Viele Tamboure taten das Ihre zum Lärm [...] hinzu.“ (PA 379, V. 11–15) Und auch ein weiterer Kampf Gawans ist wortwörtlich in eine geräuschvolle Kulisse eingebettet.

lit marveile – ein Bett mit eingebautem Wecker

Auf der Zauberburg Schastel marveile findet Gawan eine prekäre Minnesituation vor: Klingsor, der dunkle Magier, hält mit einem Zauber viele Frauen gefangen. Zentraler Bestandteil dieser Magie ist das herumrollende Zauberbett Lit marveile, das mit seinem Sound wohl kaum für eine erholsame Nachtruhe oder den Genuss der Minne dienen kann. Als Gawan hineinspringt, rast das Bett mit „unerhört wildem Feuer [los]: Keine von den vier Wänden ließ es aus, gegen alle rannte es an mit Macht, daß die ganze Burg erdröhnte davon. [...] Wenn man alles Donnern vom Anbeginn der Welt zusammennähme und dazu sämtliche Trompeter [...], der Lärm könnte nicht größer sein.“ (PA 567, V. 12–25) Kein Wunder also, dass Gawan sich nach dem Sieg über das Bett zuvörderst nach Ruhe sehnt (vgl. PA 583, V. 1–3). Auch die Rückkehr der Minnesituation zur Normalität wird daraufhin akustisch dargestellt: Zuletzt klingt wieder Musik durch die Burg, und als Gawan fragt, ob „vielleicht ein guter Geiger hier zu haben wäre“ (PA 639, V. 5), vereinigen sich Männer und Frauen beim Tanz, und es kommt zu ersten liebevollen Annäherungen. Der Zauber ist gebrochen. Damit ist auch der einzige fröhliche Klang gefunden, an dem die Frauen des Romans teilhaben. Klänge, die mit Weiblichkeit in Verbindung stehen, wirken eher trist oder neigen gar zum Verstummen.

Wo bleibt die wîbes stimme?

Während sich die Männerwelt des Parzival über musikalische Minnewerbung und krachenden Kampfeslärm vernehmbar macht, besteht der Sound der Frau hauptsächlich aus lautem Weinen und Klagen (vgl. u.a. PA 231, V. 23). Als Gawan seine Frau Orgeluse grüßt, ist ihre Stimme heiser „vom vielen Schreien in der Not“ (PA 505, V. 19f.) und Parzivals Frau Condviramurs weint in der ersten Nacht neben ihrem Mann so laut, dass dieser davon aufwacht. Gerade weil es eigentlich stets die mit der Minne in Verbindung stehenden Vögel sind, denen jene Weckfunktion zukommt, verweist das Erwachen durch jâmers klanc ähnlich wie das laute Zauberbett auf eine problematische Minnesituation, die nach Bereinigung verlangt. An anderer Stelle wird Condwiramurs zudem als still beschreiben und ihr lauter Herzschlag findet Erwähnung.

Eine Dame, die über die jammervollen Klänge hinaus akustisch vertreten ist, ist Sigune, Parzivals Cousine. Im Laufe der Handlung trifft Parzival sie dreimal lebend an, wobei sich ihr Körper stets so sehr verändert, dass das Erkennen anhand der Stimme funktioniert. Sigunes Stimme wird so zu einem akustischen Wegweiser auf Parzivals Suche nach dem Gral. Doch nicht nur hierbei hat sie eine leitende Funktion. Als Sigune Parzival nach seinem Versagen auf der Gralsburg verflucht, kommt ihre Stimmgewalt zudem in Form eines performativen Sprechaktes zum Ausdruck.

Ein Fazit

Bei diesem Streifzug durch die Klänge im Parzival rücken drei Klangdimensionen in den Vordergrund: die Geräusche der Natur, Vogelgesang, Hufgetrappel und Wetter (Biophonie und Geophonie), sowie mechanische und menschliche Klänge wie Musik, Schlachtenlärm, die Stimme und der Herzschlag (Antropophonie***). Gerade, wenn der mittelhochdeutsche Text laut rezipiert wird, wie es ja ursprünglich der Fall war, treten die Klänge auch über die onomatopoetische Ausgestaltung hervor. Die in der Literatur gespeicherten Töne werden hörbar, und die Atmosphäre des Mittelalters lässt sich erahnen. Unter dem Gesichtspunkt geschlechtsspezifischer Klänge fällt zudem der deutliche Unterschied zur heutigen literarischen Klangwelt auf, an der die Frau nicht mehr ausschließlich über Jammer und Klage teilhat und stattdessen mit ihrer Stimme die Welt aktiv mitgestalten kann.

Für die Literaturwissenschaft ist die Betrachtung der Klangdimensionen auch darüber hinaus ertragreich. Immer wieder weisen akustische Signale auf das voraus, was sich auf inhaltlicher Ebene zutragen wird. So bahnt der Wandel von Biophonie zu Antropophonie im Wald Parzivals Weg zum Rittertum an, und der Wechsel vom Minne unterbindenden Krach zur höfischen Musik auf Schastel marveile lässt das Ende des bösen Zaubers ‚ohrenscheinlich‘ werden. Spezifischen Lauten kommt zudem eine gleichsam leitmotivische Funktion zu. So ist es der schellen klanc der Ritterrüstung im Wald, der in Parzival das Erbe Gahmurets aktiviert und der den realen Vater über das musikalische Klingeln mit verschiedenen anderen väterlichen Lehrinstanzen in eine assoziative Verbindung rückt. Auch Herzschlag und Donnerschall fungieren als Leitmotive.

Wie dieser kurze Ausflug in die Klangwelt zeigen konnte, liegt die Funktion von Tönen in der Literatur nicht nur darin, eine Atmosphäre zu erzeugen, sie generieren zudem eine akustische Verweisstruktur. So ist es durchaus aufschlussreich und lohnend, die flapsige These Pumuckls im Hinterkopf zu behalten und nicht nur mit den Augen, sondern zuweilen auch mit den Ohren zu lesen.

*Zitat stammt aus Hörspielfolge 23, Pumuckl und die Knackfrösche

**Alle Zitate entstammen der Übersetzung aus: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Mit Einführung zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der Parzival- Interpretation, Berlin/ Boston: De Gruyter 2003. Versangaben beziehen sich auf den mittelhochdeutschen Text.

*** Die kursivierten Begriffe wurden von Bernie Krause geprägt.