Von Wellen und Kreisen, Lieben und Leiden
Forsythe, Portner und Béjart beim Bayerischen Staatsballett
München, 21. Dezember 2025, Christian Gohlke

Triple Bill – so nennt man in der Ballettwelt einen aus drei unterschiedlichen, meist nur lose zusammenhängen Teilen bestehenden Abend. Beim Publikum sind solche Kreationen meistens beliebt, ermöglichen sie es doch, in kurzer Zeit ganz unterschiedliche choreographische Stile zu erleben oder sogar kennenzulernen. Zudem bieten Triple Bills die Möglichkeit, jüngere Künstler mit kleineren Arbeiten zu betrauen und ihnen so zur Sichtbarkeit zu verhelfen. Aber in gewisser Weise sind diese Abende auch ein Krisensymptom: Es scheint einfach kaum noch Choreographen zu geben, die in der Lage wären, ein abendfüllendes Ballett zu schaffen.

Beim Bayerischen Staatsballett ist jetzt unter dem etwas kryptischen Titel „Waves and circles“ wieder einmal ein Triple Bill zu erleben. Der kurze Abend (er dauert, die halbstündige Pause eingerechnet, nicht einmal zwei Stunden) hinterließ einen etwas matten Eindruck – obwohl die tänzerische Leistung hervorragend war.

„Blake Works I“ von William Forsythe eröffnete die Premiere. Die Choreographie, die 2016 in Paris uraufgeführt wurde, entstand zu sieben Songs von James Blake. Kein halbstündiges, in sich geschlossenes Werk stand also am Anfang, sondern eines, das gewissermaßen in sieben Einzelszenen zerfiel – und dennoch von einem Stil geprägt war. Forsythe zitiert die klassische Tradition und schafft so immer wieder ästhetisch sehr ansprechende Bilder, die wie Reliefs im Raum stehen. Einzelne Posen erscheinen wie von den Tänzern vorgeführt und zitiert, wobei elegante Armbewegungen den Eindruck dominieren. Die blaugrauen, schlichten Kostüme drängen sich nie in den Vordergrund und richten den Fokus ganz auf die tanzenden Körper. Ein ästhetischer Genuss, der leise und ohne Aplomb daherkommt, vor allem für Kenner der Materie, die Freude am Spiel mit choreographischen Formen haben.

Problematisch ist indes, dass das zweite Stück des Abends in der musikalischen Stimmung recht ähnlich ist: Emma Portner wählte einen gut zwanzigminütigen Song von Paddy McAloon, der bewusst den Eindruck der Gleichförmigkeit hervorruft. Monotone Streicherbewegungen kehren immer wieder, und über ihnen rezitiert eine ebenso monotone Frauenstimme in nicht immer gut verständlichem amerikanischem Englisch das Langgedicht „I Trawl The Megahertz“. Darin wird vom Leben einer Frau erzählt, von ihrem Glück, ihrem Unglück, aber auch davon, wie mit diesen Erfahrungen umgegangen werden kann. Das alles bleibt im Lyrisch-Ungefähren und wirkt darum, alles in allem, doch ein wenig erschöpfend, zumal sich auf Anhieb durchaus nicht immer erschließt, wie Choreographie und Text zueinander stehen. Sicher, es gibt beeindruckende Momente: Wenn Severin Brunhuber seinen Oberkörper kerzengerade in die Horizontale legt und Carollina Bastos ihr Haar über seinen Rücken legt als breite sie ein Tuch über ein Bügelbrett. Wenn Soren Sakadales mit langen Armen weiße Stoffbahnen schwenkt und dabei wirkt, als schwinge ein Engel seine Flügel. Oder ganz zuletzt, wenn wiederum Sakadales fast nackt, wie ein wundes Tier von Lichtkegel zu Lichtkegel taumelt (großartig: die Lichtgestaltung von Eric Chad) und dabei so getrieben wie verletzlich wirkt. Das sind eindrucksvolle, kraftvolle Szenen. Ob das Stück als Ganzes aber ein großer Wurf ist? Dass Portners Arbeit in den Medien (und von der Choreographin selbst) vor allem mit dem Hinweis auf ihr Geschlecht als Sensation inszeniert wurde, geht wohl etwas weit, wurde doch nachgerade der Eindruck erweckt, als habe man in München noch nie Arbeiten von Choreographinnen zu sehen bekommen. Sharon Eyal? Sol León? Pina Bausch? Allesamt vergessen? Das wäre ungerecht.

Einen starken Kontrast zu den eher gleichförmig fließenden beiden ersten Teilen bildete Maurice Béjarts „Boléro“, in München 1961 zum ersten Mal getanzt. Wie Béjart die zunehmende Dynamik von Ravels skandalöser Musik tänzerisch anschaulich werden lässt, ist natürlich spektakulär: Osiel Gouneo beginnt auf einer kreisrunden, leicht erhöhten Fläche mit kleinen, fast unscheinbaren Gesten und steigert sich im Laufe der etwa fünfzehn Minuten kontinuierlich bis hin zu weit ausgreifenden Gesten. Nach und nach gesellen sich Tänzer mit nacktem Oberkörper zu ihm, so dass Tanz und Musik kulminieren – und dann abrupt in sich zusammenfallen. Applaus ist dabei garantiert. Ein sehenswerter, sehr gut getanzter Abend alles in allem.