Wir leben in unsicheren Zeiten. Da ist es wohltuend, an Gewohnheiten festzuhalten und liebgewonnene Traditionen zu pflegen. Und so war der Besuch der „Zauberflöte“ im Münchner Nationaltheater mehr als nur ein Opernbesuch – es war eine Heimkehr in altvertraute, von Herzen geliebte Gefilde.
Ja, ich liebe diese alte „Zauberflöten“-Inszenierung von August Everding in der Ausstattung von Jürgen Rose aus dem Jahr 1978. So viele Neudeutungen ich im Laufe der Jahre in Ulm, Stuttgart, Berlin, Wien oder Salzburg auch kennenlernte, immer kehre ich gerne und mit kindlicher Vorfreude im Herzen ins Münchner Nationaltheater zurück, um mich dort an der märchenhaften Schönheit des Bühnenbildes, an den liebevollen, detaillierten Kostümen und an Everdings unverkrampfter Erzählweise zu erfreuen, die Vorstadtkomödie und Weihespiel so glücklich miteinander verbindet.
Die Ausstattung von Jürgen Rose ist eine echte Augenweide. In welchem Opernhaus der Welt gibt es noch einen gestirnten Nachthimmel beim Auftritt der sternflammenden Königin zu sehen? Wo darf die Schlange, die Tamino verfolgt, noch Feuer speien? Wo werden die Elemente bei der Feuer- und Wasserprobe noch vors Auge des Zuschauers gebracht? Die Moden und Konventionen des Regietheaters sind derart omnipräsent, dass die alte Münchner Inszenierung mit ihrer märchenhaften Schönheit, ihrem Witz und Optimismus inzwischen eine absolute Ausnahme darstellt. Diese Inszenierung fasziniert bis heute. Immer wieder wird man vom Charme der Aufführung eingefangen, – wenn auch natürlich nicht immer im gleichen Maße.
Denn die musikalische Qualität schwankt von Aufführungszyklus zu Aufführungszyklus mitunter beträchtlich; Besetzung und Dirigent wechseln häufig. Jetzt stand (wie schon oft) mit Ivor Bolton ein erfahrener Mozart-Dirigent am Pult des Staatsorchesters – und machte seine Sache denkbar schlecht. Der Orchesterklang blieb durch die sehr kleine Besetzung, die Bolton präferiert, arg dünn und spröde, zumal der Partitur bei einer nur minimal besetzten Bass-Gruppe sozusagen das tragende, bei Mozart oft rhythmisch federnde Fundament genommen wurde. Und schlimmer noch: Die Koordination zwischen dem Ensemble und dem Orchester geriet einige Male (besonders arg beim Chorstück „O Isis und Osiris“ und beim Terzett der Tölzer Knaben im zweiten Akt) derart in Schieflage, dass die Musiker nur schwer zurück ins Geleis eines sicheren Taktes fanden. Dass es die Sänger unter so unsicherer Führung nicht ganz leicht haben, liegt auf der Hand. Sie schlugen sich mehr als nur achtbar. Günther Groissböck gab mit seinem soliden, nur in den Tiefen nicht immer unangestrengten Bass einen charaktervollen und eigentümlich grimmig gestimmten Sarastro. Jochen Schmeckenbecher tat sich als klar artikulierender Sprecher im bewegenden Generationen-Dialog mit dem ansprechenden Tamino Pavol Bresliks hervor, dessen lyrischer Tenor sicher geführt war und gerade in der Bildnis-Arie zu schöner Emphase fand. Olga Kulchynska ließ ihren kraftvoll leuchtenden, schmiegsamen Sopran als Pamina mit Wärme aufblühen, und Marina Monzó gelangen als Königin der Nacht funkelnde, wenn auch nicht immer ganz intonationssichere Koloraturen.
Dass die Besetzung auf eigene Weise dennoch problematisch war, erwies sich am deutlichsten an Sean Michael Plumbs Papageno. Der in den USA ausgebildete Bassbariton hat für diese Partie zwar die richtige Stimme und das gewinnend gemütvolle, geradeausgehende Wesen. Doch der Akzent des Nicht-Muttersprachlers ist so stark, dass in den Dialogen der Oper die Pointen nicht sitzen und mühevoll klingt, was vom Herzensmenschen Papageno leicht und beiläufig dahergeplaudert sein sollte. In etwas geringerem Maße gilt dies auch für die übrigen tragenden Partien der Oper (Groissböck und Schmeckenbecher natürlich ausgenommen): Das Stück verliert an Charme und Leichtigkeit, wenn den Sängern anzuhören ist, dass sie sich mit der Aussprache schwertun.
So hinterließ diese „Zauberflöte“ alles in allem gemischte Gefühle. Und doch: Wie schön, dass im Nationaltheater auch in diesem Jahr Mozarts Meisterwerk gespielt wird und das herrliche Haus Zuflucht bietet vor den Widrigkeiten der Wirklichkeit.